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■ Mit der Unverletzlichkeit der Wohnung ist es bald vorbei / Nach der CDU will jetzt auch die SPD das Grundgesetz für den großen Lauschangriff ändern / SPD-Linke hofft auf Parteibasis

Bonn (taz) – Das SPD-Präsidium hat sich in der Nacht zum Dienstag dafür ausgesprochen, den von der Partei bislang abgelehnten großen Lauschangriff unter bestimmten Bedingungen zuzulassen. Nach einem zunächst in einer Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Herta Däubler-Gmelin erarbeiteten Papier sollen künftig auch die Wohnräume nicht mehr vom Abhören durch Richtmikrofone und Wanzen verschont werden. Der dafür erforderlichen Grundgesetzänderung des Artikel 13 – Unverletzlichkeit der Wohnung – sieht das SPD-Präsidium gelassen entgegen.

Die Genossen sind der Auffassung, den massiven Angriff auf die Intimsphäre dadurch rechtfertigen zu können, daß der Eingriff nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein soll. Nach der Vorstellung des SPD-Präsidiums müssen drei Landgerichtsrichter den Eingriff genehmigen – die Zustimmung zu Telefonüberwachungen erteilt jetzt ein einzelner Amtsrichter. Die Maßnahme soll darüber hinaus erst dann erlaubt werden, wenn andere Fahndungsmöglichkeiten erfolglos waren oder keinen Erfolg versprechen. Schließlich müssen die Überwachungen nach Beendigung veröffentlicht werden.

Der weitgehende Konsens im Präsidium erstreckt sich allerdings nicht auf alle Genossen. Die SPD-Bundestagsabgeordneten Detlev van Larcher und Hermann Bachmaier warnen vor den „Law-and-Order-Parolen der CDU“ und stellen noch einmal klar, daß es „zu einer wirkungsvollen Verbrechensbekämpfung beziehungsweise Verbrechensverhinderung keiner so schwerwiegenden Eingriffe in elementare Freiheitsrechte bedarf“. Clevere Kriminelle würden sich dem staatlichen Zugriff auch künftig entziehen, abhörsichere Räume aufsuchen oder sich im Freien treffen. Leidtragend wären vielmehr „arglose Dritte“, die sich im Netz von immer dichter werdenden Observationsmaßnahmen verfangen würden. Auch erinnern sie daran, daß von der geplanten Wohnungsüberwachung nicht nur der Artikel 13 des Grundgesetzes tangiert wäre, sondern vor allem auch das höchste der grundgesetzlich festgelegten Güter, die Menschenwürde. „Das Recht am nichtöffentlich gesprochenen Wort ist ein wesentlicher Bestandteil des Schutzes der Menschenwürde und steht, darauf haben der Bundesgerichtshof und namhafte Juristen immer wieder hingewiesen, unmittelbar unter dem Schutz des Artikel 1 des Grundgesetzes.“ Sie äußern die Hoffnung, daß der SPD-Parteitag, der im November in Wiesbaden tagt, den großen Lauschangriff ablehnen wird.

Auch Bündnis 90/Die Grünen lehnen den großen Lauschangriff ab. Die Privatsphäre der Wohnung sei nicht zuletzt wegen der „unseligen Erfahrungen unter den Nazis“ besonders geschützt. Auch seien die Menschen in der ehemaligen DDR bezüglich Angriffen auf die privaten vier Wände besonders sensibilisiert.

Die SPD wirbt für ihr Vorhaben mit der Parole „Grundrechtsschutz durch Öffentlichkeit“ und meint damit die genannten Kautelen, unter denen Eingriffe erst erlaubt werden dürfen. Alle bisherige Erfahrung mit den deutschen Sicherheitsbehörden sprechen jedoch gegen diese Parole.

Julia Albrecht

Tagesthema Seite 3 und Seite 10

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