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■ Das PortraitXu Wenli

„Xu Wenli ist ein sehr integrer Mensch. Nicht nur die anderen Verbrecher, auch einige Wärter könnten viel von ihm lernen. Das Problem ist nur, daß seine Ansichten und Ideen vollständig falsch sind...“, hat ein Gefängnisbeamter vor einiger Zeit zur Ehefrau des chinesischen Dissidenten gesagt. Gestern wurde der „Sondergefangene Nr. 01“ nach zwölf Jahren Haft vorzeitig aus dem Pekinger Gefängnis Nr.1 entlassen – wegen guter Führung, nicht aber, weil er „Reue“ gezeigt hätte.

Der heute 49jährige Elektriker gehört wie der immer noch inhaftierte Wei Jingsheng zu den Köpfen des ersten Pekinger Frühlings von 1978/79. Er zählt zu jener Generation chinesischer Intellektueller, deren Jugend durch die Kulturrevolution (1966–1976) geprägt wurde. Foto: Reuter

Anders als die Protagonisten der Demokratiebewegung von 1989 konnten sie nicht die Universität besuchen, sondern waren nach der Schule aufs Land, in die Fabrik oder Armee gegangen. Als die chinesische KP und der gerade rehabilitierte Deng Xiaoping Ende der siebziger Jahre „Öffnung und Reform“ versprachen, tauchten zuerst in Peking und später auch in anderen Städten Chinas Wandzeitungen und handvervielfältigte Dissidentenzeitschriften auf. Zunächst ermutigte Deng Xiaoping die Bewegung, da er sich Rückendeckung gegenüber den Linken in der Partei versprach. Die AutorInnen prangerten Machtmißbrauch der Funktionäre an, sie schrieben über die Situation in Arbeitslagern und Knästen. Xu, der sich als Marxist begriff, gründete 1979 zusammen mit anderen die offiziell nicht genehmigte, aber einige Monate lang geduldete Zeitschrift Tribüne des 5. April, bald auch die Literaturzeitschriften Heute und Mensch. Wei Jingsheng wurde im Oktober 1979 in einem Schauprozeß als „Konterrevolutionär“ verurteilt. Er hatte nicht nur Demokratie gefordert, sondern auch Deng Xiaoping selbst kritisiert. 1981 wurde auch Xu festgenommen, der sich zuvor für andere inhaftierte Dissidenten eingesetzt hatte, und erhielt 15 Jahre Gefängnis. Nachdem in einer Hongkonger Zeitung ein Text Xus erschien, der aus dem Knast geschmuggelt worden war und in dem er seine Verurteilung politisch kommentierte, wurde er für mehr als drei Jahre in eine fensterlose Isolierzelle gesteckt. Jutta Lietsch

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