Xbox One analysiert persönliche Daten: Mach’s gut, du Arsch!
Seit Freitag wird die neue Xbox verkauft. Bisher war die Konsole für unseren Autor ein guter Kumpel, doch jetzt ist es aus mit der Freundschaft.
Liebe XBox,
ich bin sauer auf dich. Stinksauer. Seit du deinen Nachnamen von 360 zu One geändert hast, führst du dich unmöglich auf. Du bist anmaßend, ignorant und selbstsüchtig geworden – ein Arschloch.
Du hast einfach keinen Respekt mehr vor mir. Xbox, was ich gleich schreiben werde, tut mir mehr weh als dir: Zwischen uns ist es vorbei. Ich werde dich in Zukunft nicht mehr zum Spielen zu mir einladen!
Wir kennen uns jetzt seit ungefähr zehn Jahren. Gefühlte Ewigkeiten. Und du weißt, ich habe immer zu dir gehalten. Und dass ich dir niemals einfach so in den Rücken fallen würde. Als meine Eltern damals nicht wollten, dass ich Zeit mit dir verbringe, trafen wir uns heimlich.
Wenn meine Freundin sagte, dass du ein Nichtsnutz bist und ich endlich erwachsen werden soll, machte ich ihr klar, dass sie dich bloß nicht versteht. Wir haben zusammen Nazis erschossen, Imperien errichtet und sind die geilsten Schlitten gefahren.
Einmal haben wir sogar beinahe das Triple mit Olympique Lyon gewonnen. Wir hätten nur noch das 2:0 gegen Köln über die Bühne bringen müssen. Aber bei Pro Evolution Soccer 2008 waren die Eckbälle so bescheuert programmiert, dass man immer Gegentore kassiert hat. Egal, ich schweife ab. Xbox, ich sage dir jetzt in aller Deutlichkeit, weshalb ich nicht machen werde, was du neuerdings von mir verlangst.
Immer wenn du in mein Haus kommst, willst du alles filmen. Du legst deine neue Kinect-2.0-Kamera einfach nicht aus der Hand. Du registrierst ständig alle möglichen persönlichen Informationen über mich. Und dann ist deine Kamera auch noch mit einem derart guten Mikro ausgestattet, dass du sogar hörst, wenn Stinki im Nebenraum ihre Katzentoilette benutzt.
Alles unter Kontrolle
Richtig Angst hast du mir gemacht, als du meintest, dass du mit der Kamera meinen Puls messen kannst. Und zwar anhand meiner Gesichtsfarbe. Sogar im Dunkeln! Was geht dich denn bitte mein Herzrhythmus an, Xbox? Du bist doch nicht mein Arzt, du bist mein Spielkamerad!
Findest du nicht, dass du übertreibst? Damit vergraulst du meine ganzen Freunde. Peter zum Beispiel. Peter weigert sich kategorisch vorbeizukommen, wenn du auch da bist. Du kennst Peter, Peter Schaar. Das ist der Typ, der als Datenbodyguard arbeitet. Der sagt, dass du ein Kontrollfreak bist, und rät mir, deine Gesellschaft zu meiden.
Wenn ich dich mit deinem exzessiven Verhalten konfrontiere, verteidigst du dich immer damit, dass du mich besser kennenlernen möchtest. Dass du mir mit deinem Hochleistungsmikrofon jeden Wunsch von den Lippen ablesen willst. Dich interessiert, welche Filme ich gern schaue, wann ich sie schaue und mit wem.
Dass du mir Bescheid sagst, wenn der neue Teil von „Stirb langsam“ rauskommt, ist ja noch okay. Aber dass du an mein Gesicht ranzoomst und meine Mimik in dem Moment analysierst, in dem John McLaine wieder aufgetaut wird, um mit seinen Roboterenkeln gegen somalische Terroraliens zu kämpfen – das geht mir auf den Sack. Warum analysierst du meine Gesichtsregungen, Xbox?
Ich will einfach nur eine nette Zeit mit dir haben und etwas entspannen. Aber du fertigst nebenbei Psychogramme von mir an: Gesichtsausdruck („traurig/fröhlich/neutral“), aufmerksam („ja/nein“), spricht („ja/nein“), linkes/rechtes Auge („offen/geschlossen“), Mund („offen/geschlossen“). So geht das nicht!
Früher warst du doch auch nicht so furchtbar neugierig. Warum ist dir meine Meinung plötzlich so wichtig? Bist du unter die Marktforscher gegangen?
Und wie geizig du geworden bist! Wenn ich Freunde zum Filmschauen einlade, zählst du ab, wie viele Personen sich im Raum befinden. Und willst dann von jedem noch mal extra Geld dafür, dass du den Film bereitgestellt hast. Dir ist es richtig ernst damit. Du schwafelst von zukunftsweisenden Abrechnungsmodellen. Du hast sogar einen Patentantrag auf diese Methode gestellt. Das ist nicht die Xbox, die ich kenne.
Weißt du noch, wie Ben neben dir eingepennt ist, weil wir zu viel gekifft haben und wir ihm dann die ganzen Hakenkreuz-Penisse ins Gesicht gemalt haben? Was haben wir gelacht! Aber am Ende blieb das alles unter uns, weil wir Freunde sind. Oder besser gesagt: waren.
Xbox, du hast schlichtweg jegliches Maß verloren. Was ist bloß los mit dir? Du hast dich so sehr daneben benommen, dass du jetzt sogar Ärger mit der Politik hast!
"Die bringen dich mit Prism in Verbindung"
Die Linke will wissen, „was die Regierung im Zusammenhang mit der Konsole hinsichtlich des Schutzes von Minderjährigen, der Verknüpfung mit Prism und anderen Überwachungsprogrammen denkt“. Die haben das ganz offiziell als Kleine Anfrage beim Bundestag eingereicht. Xbox, die reden über dich im Bundestag! Die bringen dich mit Prism in Verbindung! Ist dir das nicht peinlich?
Mittlerweile sagst du, wenn ich unbedingt darauf bestehe, würdest du die Kamera gelegentlich ausschalten. Und dass du auch nicht permanent online sein musst, wenn du bei mir bist. Aber bis du zu diesen Eingeständnissen bereit warst, musste erst die halbe Welt mit dir streiten.
Ich glaube nicht, dass du dir meine Bedenken, die Bedenken von all den anderen, wirklich zu Herzen genommen hast. Du bist extrem berechnend. Dein Vater Microsoft hat dich so erzogen. Ich war glücklich mit unserer unkomplizierten Freundschaft. Aber diese Art von Freundschaft ist dir scheinbar nicht mehr gut genug. Deshalb mein Abschiedsbrief.
Sei nicht traurig, liebe Xbox. So wie ich dich kenne, wirst du genug neue Freunde finden. Freunde, denen dein neues Ich egal ist. Denen es vielleicht sogar gefällt, dass du alles über sie wissen willst. Ich verstehe das. Mit dir rumzuhängen, macht jetzt sicher mehr Spaß denn je. Du bist cool und du hast noch nie besser ausgesehen.
Du wirst mir fehlen. Aber du bist dieses Mal wirklich zu weit gegangen, und das werde ich mir von dir nicht gefallen lassen. So viel Selbstachtung habe ich noch. Ich werde dein falsches Spiel nicht mehr mitspielen.
Leb wohl,
dein Dmitrij
PS: Bitte ruf nicht bei Playstation 4 zu Hause an und frag, ob ich da bin. Ich kann Zeit verbringen, mit wem ich will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen