Xabi Alonso vor Wechsel zum FC Bayern: Gentleman und Scharfmacher
Xabi Alonso wurde in Madrid von Neuzugang Toni Kroos aus der Startelf gekickt. Weil deswegen schlechte Laune droht, wechselt er wohl nach München.
„Das Schwerste ist zu wissen, wann man Adiós sagen muss“, schrieb Xabi Alonso am Mittwoch in einem offenen Brief an seine Anhänger: „Nach vielem Nachdenken glaube ich, dass dieser Moment gekommen ist.“ Der 32-jährige Mittelfeldspieler erklärte mit diesen Worten seinen Abschied aus der spanischen Nationalelf, doch schon wenige Stunden später konnte er sie noch einmal recyclen. Alonso verlässt auch den spanischen Rekordmeister Real Madrid. Er steht vor der Unterschrift bei Bayern München.
Der Transfer ist eine mittlere Sensation nicht nur für diejenigen, die den FC Bayern auf einem Jugendkurs wähnten. Auch wer noch seine letzten fünf Jahre bei Real vor Augen hat, mag sich die Augen reiben. Alonso war der Anker der Königlichen, er brachte auf seiner Position direkt vor der Abwehr die fragile Künstler-Truppe ins Gleichgewicht und dirigierte zuletzt meisterhaft den Einzug ins Champions-League-Finale, das dann auch wegen seiner Gelbsperre nur haarscharf gewonnen werden konnte. „Maestro“, nannte ihn der aktuelle Trainer Carlo Ancelotti, verglich ihn mit seinem früheren Spielmacher Andrea Pirlo und setzte beim Verein durch, dass der auslaufende Vertrag des Basken zu deutlich verbesserten Konditionen um zwei Jahre verlängert wurde.
In den letzten Tagen sah sich Alonso freilich zunehmend auf verlorenem Posten im drohenden Kampf mit Neuzugang Toni Kroos um den Stammplatz auf der Spielmacherposition. Die beiden Quarterbacks mit ähnlichen Qualitäten – Übersicht, Passspiel, taktische Intelligenz – und Defiziten – Schnelligkeit, Dribbling, Dynamik – hatten sich im verlorenen Supercup gegen Atlético Madrid (1:1, 0:1) als eher inkompatibel erwiesen. Zum Ligaauftakt gegen Córdoba spielte dann bloß Kroos. Als Trainer Carlo Ancelotti in der zweiten Halbzeit einen weiteren defensiven Mittelfeldmann einwechselte, entschied er sich für Sami Khedira.
Alonso hatte allen Grund, das als Misstrauensvotum zu verstehen, denn Ancelotti ist zwar ein Anhänger seines Spiels, aber immer auch loyal gegenüber den Wünschen aus der Chefetage. Dort zweifelte man schon länger Alonsos Haltbarkeitsdatum an. Die Trennung zum jetzigen Zeitpunkt geht gleichwohl auf Initiative des Spielers zurück. Wegen seiner Verdienste, der Gehaltsersparnis und der für einen 32-Jährigen stattlichen Ablöse von rund zehn Millionen Euro werden ihm keine Steine in den Weg gelegt.
Zumal auf einen unzufriedenen Alonso nun wirklich keiner Lust hatte. Der 114-malige Nationalspieler pflegt das Selbstbild vom Gentleman, eines Fußballers von geradezu altmodischem Ehrverständnis, reflektiert und kultiviert. Für Spaniens größte Kaufhauskette posiert er seit Jahren in traditioneller Herrenkleidung, er trägt keine Tattoos, dafür noch schwarze Fußballschuhe und gilt als interessiert an Literatur und Kunst, Wirtschaft und Politik. Er leitet daraus aber auch bisweilen eine gewisse Attitüde ab, weshalb er nicht unbedingt zu den beliebtesten Profis bei seinen Kollegen zählte.
Bei der WM in Brasilien verprellte er viele Mitspieler, als er nach dem Ausscheiden von „fehlendem Hunger“ und einem „anderen Feeling als früher“ sprach. Diese Tendenz zum klaren Wort dürfte seinem neuen Sportdirektor Matthias Sammer gefallen, entscheidend für den Wechsel war allerdings das Werben von Trainer Pep Guardiola, was auch pikant ist. Bei den hitzigen Clásicos zu Guardiolas Barcelona-Zeiten betätigte sich Alonso traditionell als Scharfmacher und treuer Soldat José Mourinhos. Bis zuletzt hielt er dem Ex-Trainer Reals als einer der wenigen die Treue. Künftig kickt er nun also für dessen großen Gegenspieler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind