Wutbuch über Afghanistan: Bekenntnisse eines Offiziers
Lebensgefahr in Kundus, Desinteresse in Deutschland: Ein Offizier schreibt aus Wut ein Buch. Seine Bundeswehr-Karriere dürfte damit beendet sein.
"Aus Wut und Enttäuschung" hat der Reserveoffizier Marc Lindemann ein Buch über den Afghanistaneinsatz geschrieben. Er will damit ankämpfen gegen "das Unverständnis in der deutschen Gesellschaft und Politik" gegenüber der Leistung der Bundeswehr am Hindukusch.
"Unter Beschuss" heißt Lindemanns Buch, das er am Donnerstag in der Bundespressekonferenz in Berlin vorstellte. Susanne Koelbl, Afghanistan-Kennerin vom Spiegel, saß neben ihm und fragte noch einmal: Was für eine Wut? Die Soldatinnen und Soldaten im Lager in Kundus, erzählte der 32 Jahre alte Nachrichtenoffizier, seien permanenten Raketenangriffen durch die Taliban ausgesetzt.
Sie fühlten sich aber ohnmächtig, dagegen etwas zu tun. Und zu Hause wolle das dann niemand wissen. Er wolle nun "eine Stimme im Auftrag der Soldaten" sein. Seine Kameraden fänden es richtig, dass die "immer dramatischer werdende Lage" in und um Kundus endlich geschildert werde - ohne Beschönigung. "Warum Deutschland in Afghanistan scheitert" lautet der Untertitel des Buches.
Aber, warf ein WDR-Journalist ein, es vergehe doch kein Tag ohne detaillierte Afghanistan-Berichterstattung? Bekämen die Soldaten nicht 105 Euro steuerfrei für jeden Tag im Einsatz zu ihrem Sold hinzu? Und beginne nicht jede Bundestagsdebatte mit Dank und Lobpreis für die Männer und Frauen dort - wobei übrigens die Entwicklungshelfer stets vergessen würden?
Na ja, sagte Lindemann. Aber im persönlichen Umfeld, an der Uni, im Freundeskreis - ja, auch bei den Politikern, die auf Truppenbesuch nach Kundus kommen: freundliches Desinteresse an ihrer tatsächlichen Lage. "Ich habe das Gefühl, dass viele Parlamentarier sich im Umgang mit Soldaten gehemmt fühlen."
Damit bestätigte Lindemann, was wiederum die meisten der gehemmten Abgeordneten nach ihrer Rückkehr der Presse berichten: Die Soldaten in Kundus wollten mit dem gehemmten Verhältnis der Bevölkerungsmehrheit zur Bundeswehr nicht mehr leben. Sie sollen hart sein, sind aber ganz offensichtlich erst einmal weich und gekränkt.
Ausdrücklich lobte Lindemann jedoch den neuen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). "Als der im Bundestag gesprochen hat, guckte er hoch zur Tribüne und sprach die Offiziere dort direkt an. Er hat sie bemerkt."
Auch wenn damit überdeutlich wird, dass Guttenbergs Kommunikationspolitik bei der Zielgruppe 100 Prozent Wirkung erreicht - Lindemanns Karriere bei der Bundeswehr dürfte mit dem Buch beendet sein. Wortgewandtheit und Selbstbewusstsein werden dem Politologen sicherlich andere Perspektiven eröffnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit