: Wunder höherer Ordnung
■ Werder-Jungs, die Wundergötter: Das Heimspiel gegen Parma endete mit 3:1 / Die Bremer stürmten mit Hurra-Fußball in's UEFA-Cup-Viertelfinale gegen Arsenal London
„Hat mal einer ne Zigarette?“ Ohne Suchtmittel war der Abend für den Werder-Vorstand Jürgen L. Born nur schwer auszuhalten. Und es war einer dieser Abende, an denen sogar Journalisten ange-schnorrt werden können. Einer dieser Abende, an denen in Bremer Gastwirtschaften noch bis tief in die Nacht Schultern geklopft, taktische Finessen analysiert und mit hochroten Köpfen allerlei „wie der Bode den Drehschuß“-Momente wiederbelebt werden. 3:1 gegen Parma, Werder steht im UEFA-Cup-Viertelfinale gegen Arsenal London. Die Bremer erlebten ein weiteres Wunder von der Weser – nicht etwa, weil das 1:0 vom Hinspiel umgebogen worden wäre, da hat das Weserstadion schon andere Momente erlebt, sondern wie die grün-weißen Kicker samt Chef Schaaf immerhin die Cup-Verteidiger nach Hause geschickt haben. Es war eine rauschende Fußball-Nacht mit einem nicht nur kämpfenden, sondern zauberhaft spielenden SV Werder. Quasi ein Wunder höherer Ordnung. Mit angeschlossenem Suchtmittelkonsum zur Bekämpfung des allzu hohen Adrenalinspiegels, noch eine halbe Stunde nach Abpfiff im Presseraum. „Hat mal einer ne Zigarette?“
Zuvor gab's Standing Ovations für ein Bremer Team, das die ziemlich durchwachsenen letzten Werder-Wochen mit einem Sturmlauf vergessen ließ. Und zwar vom Anpfiff weg. Das sollte die Mannschaft sein, die am Sonntag nach einer peinlichen Vorstellung in Ulm 2:1 verloren hatte? Unmöglich! „Nach vorne“, hatte Trainer Thomas Schaaf die Spielrichtung schon Tage zuvor festgelegt. „Das ist unser Spiel. Was anderes können wir gar nicht.“ Dafür setzten seine Kicker eben dieses eine ziemlich gut um.
Hätten die Italiener nicht ausgerechnet ihren Nationalkeeper zwischen den Pfosten gehabt, sie hätten sich über zwei Tore Rückstand schon nach einem Viertelstündchen nicht beschweren dürfen. Buffon, immer wieder Buffon: Einen Ailton-Kopfball aus fünf Metern machte er mit einem Reflex unschädlich, dem nachsetzenden Pizarro warf er sich mit aller Routine entgegen, und als Frings wenig später aus 20 Metern abzog, da flog er schon in die richtige Ecke. Und spätestens da hatte Buffon gerade die rechte Betriebstemperatur erreicht, um im weiteren Spielverlauf vier, fünf weitere hochkarätige Chancen der Bremer zunichte zu machen.
Allein – genützt hat es seiner Mannschaft am Ende nicht. Noch nicht einmal der Sturmlauf des Torwarts kurz vor Ultimo in Richtung seines Kollegen Frank Rost. Als der phasenweise grotesk entscheidende polnische Schiedsrichter Wojcik in der 95. Minute endlich ein Einsehen hatte und abpfiff, da fiel der brave Buffon im Werder-Strafraum einfach stumpf um. Ein Weltklassetorwart war einfach zu wenig für diese Werder-Mannschaft.
Die kombinierte vom Anpfiff weg, als müsste sie einen vier-Tore-Vorsprung wettmachen. Vorneweg einer, der gemeinhin über's Feld eher schleicht als rennt, aber dafür seine Mitspieler bei jeder denkbaren Gelegenheit angrantelt: Andreas Herzog bot eine Galavorstellung, rackerte, rannte, schlug Traumpässe, verzögerte geschickt, wenn einer seiner Vorderleute übermotiviert in's Abseits rannte, und war mit legalen Mitteln kaum vom Ball zu trennen. Da konnte der Gegenspieler durchaus auch Thuram heißen und leibhaftiger Weltmeister sein. Den dribbelte Herzog in der 17. Minute schwindelig, zog im Strafraum alle italienische Aufmerksamkeit auf sich, guckte, pass-te zentimetergenau quer, so dass Dabrowski frei einschießen konnte. Zuckerl!
Doch Herzog war nur der allerbeste in einer Mannschaft beinahe ohne Schwachstellen. Und doch hätte das Unternehmen Viertelfinale noch gut und gerne in die Hose gehen können. „Wir müssen drei Tore schießen, ein Ding kriegen wir nämlich immer rein“, hatte Torsteher Frank Rost schon vor der Partie orakelt. Keine zwei Minuten nach der Werder-Führung hatte sich die Vorhersage des Gegentors schon erfüllt, und hätte er nicht seinem Kollegen Buffon an Klasse kaum nachgestanden, Werder hätte noch den einen oder anderen Treffer kassiert. Vor allem in der Schluss-Viertelstunde, als Werder bereits mit 3:1 führte und mit Bode und Herzog zwei der wichtigsten Kicker völlig ausgepumpt den Platz verlassen hatten. Parma warf alle Kräfte nach vorne, brachte die Werder-Defensivabteilung ordentlich ins Schwimmen und ruinierte die Nerven der Zuschauer. Und die vom Vorstandschef. „Hat mal einer ne Zigarette?“ Der Rest war Jubel.
Bereits in der kommenden Woche müssen die Bremer nun bei Arsenal London antreten. „Natürlich haben wir die schon studiert“, sagt Trainer Schaaf. Und wie Werder gegen diesen Gegner spielen wird, das hat er sowieso schon verraten. „Nach vorne. Was anderes können wir gar nicht.“ Jochen Grabler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen