Wulff und die Vielffalt: Ein grauer Freund der bunten Republik
Christian Wulff wollte Präsident aller Deutschen sein und bei den Minderheiten kamen Wulffs Gesten gut an. Ein politischer Nachruf.
BERLIN taz | Ein "bisschen schade" sei das schon, findet Ahmet Külahci, deutscher Redaktionschef der türkischen Tageszeitung Hürriyet. Mit dieser Meinung steht er im großen Saal von Schloss Bellevue, in dem Christian Wulff kurz darauf seinen Rücktritt verkündet, im Kreis seiner Kollegen allerdings fast allein auf weiter Flur.
Die meisten Journalisten, die sich auf der eigens eingerichteten Pressetribüne hinter einem Pulk von Kameraleuten drängen, haben ihr Urteil da schon gefällt: "provinziell", "unseriös" und "unwürdig" sei der Amtsträger gewesen, raunt es hämisch auf den Rängen.
Bei seiner Rücktrittsrede versucht Christian Wulff - während seine Gattin neben ihm steht - noch einmal daran zu erinnern, was das zentrale Projekt seiner Präsidentschaft gewesen ist. Es sei ihm ein "Herzensanliegen" gewesen, "den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern", sagt Wulff. Tatsächlich zieht sich das Thema Integration wie ein roter Faden durch seine kurze Amtszeit, die eineinhalb Jahre währte.
Schon in seiner Antrittsrede nach seiner Wahl im Juni 2010 hatte Wulff von der "bunten Republik" Deutschland gesprochen, sich als Brückenbauer angedient und versprochen, sich für alle Bürger gleichermaßen einzusetzen, "unabhängig von Herkunft und Wohlstand". Dabei verwies er beispielhaft auf die Erfolgsgeschichte von Aygül Özkan, der damals "ersten Landesministerin muslimischen Glaubens", die er selbst in Niedersachsen ins Amt gebracht hatte. Wenig später aber sorgte der frischgebackene Präsident für Irritationen, als er im Domizil des Unternehmers Carsten Maschmeyer auf Mallorca Urlaub machte.
Diese unziemliche Nähe zu Großverdienern hat Wulff nun den Job gekostet. Die Fehltritte der Vergangenheit, die er sich größtenteils in seiner Amtszeit als Ministerpräsident in Hannover geleistet hat, haben ihn in Berlin eingeholt.
Das weltoffene Antlitz der Union
Dabei sah alles nach einem Neuanfang aus, als Wulff mit damals gerade 51 Jahren als jüngster Bundespräsident der Geschichte ins Berliner Schloss Bellevue einzog. Zwar fiel sein Weg ins neue Amt noch etwas holprig aus: erst im dritten Anlauf kürte die Bundesversammlung den Kandidaten, den die Regierungsparteien nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler ins Rennen geschickt hatten.
Mit seiner Patchworkfamilie aber verkörperte Wulff im Schloss Bellevue fortan das moderne, weltoffene Antlitz der Union - eine Rolle, die er durch kleine Gesten zu unterstreichen wusste. So durften beim Fest des Bundespräsidenten im Sommer erstmals auch Kinder durch den Park toben. Und während seiner Weihnachtsansprache zeigte er sich im Kreis seiner Familie und ausgewählter Bürger, darunter sichtbar auch Einwanderer.
Die größte Wirkung erzielte Wulff, wohl eher unverhofft, mit seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2010, in der er eher beiläufig erwähnte, auch der Islam gehöre "inzwischen zu Deutschland". Auf dem Höhepunkt der Debatte um Thilo Sarrazins rassistische Thesen, als die gesamte Bundesregierung nach rechts zu rücken schien – der damalige Innenminister de Maizière drohte, härter gegen sogenannte Integrationsverweigerer vorzugehen, Familienministerin Schröder schwadronierte von den Gefahren einer "Deutschenfeindlichkeit", die angeblich unter Einwanderern grassiere, und Merkel erklärte Multikulti schlichtweg für "gescheitert" -, setzte Wulff damit einen versöhnlichen Kontrapunkt.
Schmähungen von Islamophoben
Für konservative Kreise aber wurde Wulff dadurch zur Zielscheibe. Einige hatten ihm zuvor schon verübelt, er habe sich zu früh zur Entlassung Sarrazins durch die Bundesbank geäußert. Nun folgte die Quittung: Die CSU beeilte sich, dem Bundespräsidenten möglichst einstimmig zu widersprechen. Die Bild-Zeitung fragte auf ihrer Titelseite scheinheilig: "Warum hofieren Sie den Islam so, Herr Präsident?", von islamfeindlichen Blogs wurde er fortan als "Türken-Wulff" geschmäht, und der Focus verwandelte Wulff auf seiner Titelseite per Fotomontage in einen frommen Muslim, mit Gebetskäppi und Schnauzbart.
Wenn man die Seite umblätterte, grinste dem Leser Horst Seehofer entgegen, dessen populistischen Thesenkatalog zur Integration das Blatt in der gleichen Ausgabe breiten Raum einräumte. Es wirkt wie eine Ironie, dass ausgerechnet Seehofer nun Wulff kommissarisch vertreten soll, bis binnen eines Monats ein Nachfolger für ihn gewählt ist.
Bei den Minderheiten kamen Wulffs Gesten gut an - etwa als er auf seiner Reise nach Israel seine Tochter Annalena und weitere junge Leute mitnahm, um die Verantwortung aller Generationen in Deutschland für den Holocaust zu demonstrieren. Noch im November 2011 verlieh ihm der Zentralrat der Juden seinen renommierten Leo-Baeck-Preis. Und nur konsequent war es, dass Wulff sich anbot, den Staatsakt zu organisieren, mit dem diesen Donnerstag der Opfer des rechtsextremen Terrors gedacht werden soll.
Da reißt sein Rücktritt nun eine Lücke. Wer sendet jetzt die versöhnlichen Signale? Wulff habe "Maßstäbe für die Integrationspolitik" gesetzt, lobt Kenan Kolat von der Türkischen Gemeinde in Deutschland, während Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime glaubt, auch Wulffs Nachfolger werde den "eingeschlagenen Weg" fortsetzen.
Dass Angela Merkel nun höchstselbst einspringt, um im Berliner Dom die Trauerrede zu halten, zeigt, dass sie weiß, dass sie hier etwas wieder ins Lot bringen muss.
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