Standbild: Würger und Prosecco
„37 Grad: In der Haut des Killers“, Di., 22.15 Uhr, ZDF
Wir kennen sie bisher nur aus Hollywoodfilmen. Dort leiden sie entweder an anhaltenden Depressionen oder sind selbst die Killer: Psychologen, die ein Profil von Mördern, Vergewaltigern und Kinderschändern zeichnen. Was verraten Tatwaffe, Wundmale, Fundort der Leiche über die kranke Psyche des Täters? Wochenlang versuchen die Mitarbeiter der Spezialabteilung des BKA, sich in den Täter hineinzuversetzen. Und beim Fall des 1995 ermordeten 13-jährigen Sebastian ist das ZDF immer dabei. In der Gerichtsmedizin, am Tatort und bei den Eltern, die vom ZDF zwar eine Tasse Kaffee bekommen, aber trotzdem nur stammeln und gar nichts verstehen. Kinderturnschuhe im Unterholz, das Grauen in Farbe und verschwommenen Bildern. Und mitten in dem Wahnsinn ein paar idealistische Psychologen, deren Beruf es ist, sich nicht über perverse Gewalt zu wundern. Nachdem sie mit den Eltern gesprochen, Tatort und Leiche begutachtet haben, ziehen sie sich zurück. Tagelange Diskussionen, Denken aus der Sicht eines Mörders: „Wenn du geplant hättest, den Jungen umzubringen, hättest du nicht ein anderes Werkzeug genommen als die Hände?“ – „Er hat die Leiche einfach weggeworfen. War wohl selbst schockiert.“ Was wie ein makaberes Detektivspielchen aussieht, hat schon oft den entscheidenden Hinweis gegeben: Alter, Bildungsgrad, das Verhalten im Alltag. Der Irrsinn liegt in der Normalität. Jeder könnte ein Killer sein, den Wenigsten sieht man es an. Klar, weiß man. Nur sind sich die Psychofahnder dessen ständig bewusst. Einsame Kämpfer. Auf Partys erzählen sie ungern von ihrem Beruf, weil Prosecco und Würgemale nicht zusammen passen. Wenn die eigene Tochter mal später nach Hause kommt, werden sie leicht nervös. Und eine Müllkippe ist nicht nur Müllkippe, sondern auch ein beliebter Entsorgungsort für Leichenteile. Entweder man beobachtet nach dieser Reportage seine Nachbarn besonders genau, oder man ist einfach nur froh, einen anderen Beruf zu haben.Tina Angerer
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