■ Wühltisch: Der Flaschenverschluß
Einer norddeutschen Brauerei, deren Bier besonders Witzbildchenfreunde zugeneigt sind, kommt der Verdienst zu, die wiederverschließbare Flasche in unsere Warenwelt hinübergerettet zu haben. Allenfalls eine altmodische Attitüde des Erzeugers, feierte sie plötzlich Triumphe im Supermarkt der Geschmacksunterscheidungen. Die verschließbare Bierflasche ist ein Überrest aus der Wirtschaftswunderzeit, als die Pausen am Bau – und die ganze Republik war ja irgendwie in Bau – zu kurz waren, um die Flaschen vollständig zu leeren. Schaffe, schaffe, Häusle baue, und das Bier blieb derweil haltbar. In der Freizeitgesellschaft vorm Fernseher mußte das halb konsumierte Getränk als lästiger Triebaufschub erscheinen. Im Zeitalter des Narzißmus, in das wir Christopher Lasch zufolge irgendwann übergewechselt sind, zählt der unmittelbare Vollzug – Triebbefriedigung now. Die Akzeptanz aufbewahrten Bieres sank gegen null.
Der Flaschenverschluß ist freilich kein originäres Zubehör der Bierflasche. Das klassische Modell ist der Sektflaschenverschluß. Er besteht aus zwei Metallbügeln, die durch einen Gummiring mit elastischem Druck zusammengehalten werden. Mit Handdruck wird der Verschluß über den Flaschenhals gestülpt, bis zwei Bügel über den Flaschenhalsrundungen einrasten. Mehr oder minder luftdicht abgeschlossen, verbleibt die Kohlensäure in der Flasche. Das kann schiefgehen. Wer kennt nicht die Folgen eines Flaschenverschlußabschusses im geschlossenen Kühlschrank?
Manche Modelle werben ausdrücklich damit, daß sie dichthalten können wegen ihrer extra starken Stahlfeder, hochglanzvernickelt. Es gibt Spaßmodelle, deren formliche Heiterkeit scheinbar der beschwingten Gesellschaft entsprechen soll. In diversen Ausführungen – obszöne Figürchen und dergleichen – wird das Prinzip des Korkens nachgeahmt. Wie bei den meisten Scherzartikeln wird Funktion nur imitiert. Der Sektflaschenverschluß als Scherzartikel ist mißlungene Nachahmung und Parodie des Aufsteigermilieus zugleich. In feucht-fröhlichen Gruppengelagen benötigt man sowieso keinen Verschluß, hier bemißt man die Qualität der Stimmung anhand der Zahl vollständig geleerter Flaschen. So erweist sich der Sektflaschenverschluß als Gebrauchsartikel für avancierte Kreise.
Eindeutiger als der Allgemeinbegriff kennzeichnet unseren Gegenstand derzeit die Bezeichnung Prosecco-Verschluß. Prosecco verbürgt als junger Sekt jungendliche Frische und bietet eine raffinierte Distinktion zum demonstrativen Champagnersaufen der neuesten Emporkömmlinge. Wer Prosecco trinkt, achtet auf gemäßigten Alkoholkonsum, was die Verschlußfunktion evident macht. Die Aufbewahrung ist ein Zeichen für Affektkontrolle. Der Prosecco- Verschluß ist aus schwerem Edelmetall in schlankem Italo- Design, dessen Gewicht die Sicherheit im Kühlschrank garantiert. Keine Chance für die Kohlensäure. Die Reinheit des Metalls korrespondiert mit der Klarheit des Getränks. Der Prosecco- Verschluß eignet sich vorzugsweise als Geschenk. Hilfreiche Gebrauchsanweisungen geben zwischen den Jahren selbst die Feuilletons der seriösen Periodika nach dem Motto: Genußberatung statt Weihnachtsgeschichte. Das Problem von Aufsteigern ist, daß sie selten Gewißheit über die erreichte Position erlangen. Das hält auch die Ansichten über die Gebrauchsgegenstände in Bewegung. Am besten, hieß es in einem Aritkel eines selbsternannten Gourmets, stellt man die angebrochene Flasche zurück in den Kühlschrank, ohne jeden Verschluß. Harry Nutt
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