■ Wühltisch: Die Rückkehr des „Braunen Bären“
Es war die Zeit, als die Pullover beim Ausziehen knisterten und wir uns zu Karneval nicht mehr als Old Shatterhand, sondern als „Hippies“ verkleideten: da machten wir uns ein kleines Glöckchen an die Schlaghosen und malten auf ein altes Oberhemd mit Plakkafarbe den Satz „Haste Haschisch in den Taschen, haste immer was zu naschen“. 1974 war ich zehn und der Hippiekult natürlich reine Mache. Denn mein Taschengeld vernaschte ich immer noch beim Kiosk an der Ecke, wo es die Lutschmuscheln mit Himbeerfüllung und den rosafarbenen Mäusespeck gab.
In diesem Sommer spielte ich auf meinem Bonanza-Fahrrad mit dem Plastikfuchsschwanz „Easy Rider“ nach, und Langnese brachte ein neues Eis am Stiel auf den Markt: Aber der „Braune Bär“ war viel mehr als nur ein Eis. Er markierte den Übergang von der „Winnetou“- Kindheit in die „Haschisch“-Welt der Erwachsenen. Denn unter der blauen Papierhülle mit dem reitenden Indianer verbarg sich ein richtiges „Erwachseneneis“ aus Kakao, Schokolade und mit einem Karamelkern. Für fünfzig Pfennig konnte man sich mit dem „Braunen Bären“ probehalber an die großen Eissorten „Cornetto Nuß“ oder „Königsrolle“ herantasten, ohne die pieksigen Krokantbrösel und das langweilige Sahnehäubchen in Kauf nehmen zu müssen. Der „Braune Bär“ war das Eis für Fortgeschrittene, die den „Happen“ und das billige Erdbeer-„Berry“ schon hinter sich gelassen hatten, es aber immer noch gerne süß und klebrig mochten. So wie ja auch das Bonanza-Rad nicht nur ein Fahrrad, sondern der erste Schritt zum Mofa war.
Die Ära des „Braunen Bären“ dauerte etwas länger als meine Schulzeit. Eigentlich habe ich sein Ableben nicht einmal zur Kenntnis genommen. Denn in seinem letzten Sommer 1986 aßen wir längst kein Eis mehr, sondern kauften „Bauer“-Joghurt, weil der ohne Konservierungsstoffe hergestellt wurde und also gesund war. Sang- und klanglos verschwand auch der „Braune Bär“ aus den Tiefkühltruhen. Sein süßer Geschmack war mit künstlichen Farb- und Aromastoffen verstärkt worden, und auch der Eiskremhersteller wollte künftig aus Imagegründen nur noch natürliches Eis herstellen.
Wie alle Übergangsobjekte, die unser Stolpern über diverse Lebensschwellen begleiten, habe ich den „Braunen Bären“ nie ganz vergessen können. Immer wieder habe ich ersatzweise genoggert und mir später von „Magnum“ den Bäreneffekt erhofft. Um immer enttäuscht festzustellen, daß nichts an den „Braunen Bären“ heranreichen konnte.
Jetzt ist er wieder da. In einer entschärften Version zwar, farbstoffbefreit, aber immer noch so süß und so klebrig wie einst. Es seien vor allem die vielen Zuschriften gewesen, erklärt die Marketingabteilung von Langnese, die das Unternehmen bewogen hätten, den „Brauen Bären“ wieder ins Sortiment aufzunehmen. Nachdem man im letzten Jahr schon das „Dolomiti“ – allerdings ebenfalls in bereinigter Version – wieder in die Kühlregale entsandt hatte, nahmen die Bettelbriefe zur Wiederkehr des „Braunen Bären“ überhand. Allesamt von Schreibern, so ist zu vermuten, die die Dreißig längst überschritten haben und ihren Kindern nur Biokost ins Müslischälchen füllen.
Am Ende haben sich die Unterschriftenaktivisten aber doch nur einen Bärendienst erwiesen. Denn natürlich ist der „Braune Bär“ genau das geblieben, was er immer war. Dafür sind wir größer geworden – und das macht den Bären jetzt enttäuschend klein. Ein Happs, schon ist er weg. Am Ende müssen wir wohl doch mit dem Nogger alt werden. Klaudia Brunst
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen