Wozu sind Kriege gut?

OSTERMÄRSCHE Die Nato bombt in Libyen, doch der Pazifismus ist erlahmt. Dabei wird immer klarer, dass sich mit Waffen kein Frieden schaffen lässt

■ ist freier Journalist in Hamburg. Er hat an der Uni Lüneburg in Behindertenpädagogik promoviert und im besetzten Hamburger Gängeviertel das integrative Kulturprojekt „Möglichkeitsräume“ gegründet.

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“ Dieses berühmte Zitat des US-amerikanischen Schriftstellers Carl Sandburg (1878 bis 1967) war Anfang der 1980er Jahre in aller Munde. Heute müsste es wohl abgewandelt werden in: Stell dir vor, die Nato führt Krieg, und keiner protestiert dagegen. Was vor 30 Jahren schlicht undenkbar war, ist spätestens jetzt Realität geworden. Denn trotz des Krieges in Libyen dürften bei den Ostermärschen auch in diesem Jahr nicht allzu viele Teilnehmer zu erwarten sein.

Das Denkwürdige an der deutschen Friedensbewegung ist, dass sie stark war, solange es keinen Krieg gab, an dem Deutschland beteiligt war. Aber just in dem Moment, als die eigene (rot-grüne) Regierung tatsächlich ihren Angriffskrieg gegen Jugoslawien vorbereitete, fiel sie weitgehend in sich zusammen. Gebröckelt hatte sie schon nach dem Ende der Sowjetmacht, als die Gefahr eines Atomkriegs gebannt schien. Doch der Krieg kam stattdessen auf den Balkan, quasi durch die Hintertür, zurück. In seinem Verlauf traten die Menschenrechtskrieger auf den Plan: Sie machten den Krieg als Mittel der Politik auch für viele ehemals Friedensbewegte wieder schmackhaft – jetzt in Libyen wieder.

Sieg der Menschenrechtskrieger

Ihr Argumentationsmuster ist einfach: Den Krieg an sich lehnen wir ab. Als Ultima Ratio aber, wenn dadurch irgendwo die Menschenrechte verteidigt werden können, ist er dagegen notwendig und gerecht – ja der Verzicht auf einen Krieg, der dann euphemistisch zur „humanitären Intervention“ verniedlicht wird, wäre dann sogar verantwortungslos. Was dabei sofort ins Auge springt, ist die Willkür, mit der diese Maxime Anwendung findet. Während etwa derzeit die Regime in Bahrain und im Jemen ähnlich brutal gegen ihre eigene Bevölkerung vorgehen wie Gaddafi in Libyen, schließen wir gegenüber diesen Verbrechen unserer Alliierten beide Augen.

Der Menschenrechtsbellizismus ist eine Ethik, die nur auf „uns“ unliebsame Regimes angewendet wird. Das zeigte sich bereits beim Kosovokrieg deutlich. „Geschützt“ wurde, soweit das mit Bomben überhaupt möglich ist, einseitig die albanische Bevölkerung. Bei der anschließenden Vertreibung der Serben ließ die NATO den UCK-Schergen dagegen freie Hand. Das macht die Idee einer „humanitären Intervention“, die vordergründig gut erscheinen mag, unglaubwürdig.

Denkt man den Menschenrechtsbellizismus konsequent weiter, steht am Ende ein „Weltkriegsprogramm“ (so Andreas Fischer-Lescano in der taz vom 16. 4.). Als allgemeine Handlungsmaxime im Sinne von Immanuel Kant taugt er somit nicht. Völkerrechtler wie er lehnen militärische Interventionen nicht grundsätzlich ab, betrachten ein UNO-Mandat dabei aber als Vorbedingung. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass auch UN-Mandate äußerst selektiv erteilt werden.

Instrumentalisierte Empörung

Der sogenannte „verantwortungsethische Pazifismus“, der eine kriegerische Einmischung billigt, um Völkermorde und grobe Menschenrechtsverletzungen zu beenden, läuft deshalb stets Gefahr, für die Interessen derjenigen instrumentalisiert zu werden, die mit fraglichen Geheimdienstberichten und getürkten Augenzeugen jene Tatbestände herbeireden, die sie für ihre Zwecke brauchen. Die Medien leisten ihnen oft willig Folge, indem sie gebetsmühlenartig über die Grausamkeiten eines Despoten berichten, während sie die der anderen Tyrannen verschweigen und so lange nach einem militärischen Eingreifen rufen, bis der Krieg voll im Gange ist.

Um vorgeblich die Menschenrechte zu schützen, nimmt man tödliche „Kollateralschäden“ billigend in Kauf. Man sortiert Menschen aus ferner Distanz und moralischem Hochmut in Gut und Böse – stets in der Gewissheit, dass wir selbst von den Konsequenzen unserer kriegerischen Ethik verschont bleiben werden. Es ist eine Ethik, die wir uns leisten können, weil sie immer nur andere trifft. Der einzelne Mensch, der bei Kant stets „Zweck an sich“ sein sollte, wird zum bloßen Mittel für Kriegsziele degradiert. Dieser Menschenrechtsbellizismus hat genau das nicht verhindern können, was er vorgibt. Er hat den Völkermord in Ruanda nicht verhindert – und dafür den Irak zertrümmert, was viele Menschen das Leben gekostet hat.

Ein konsequenter Pazifismus, der generelle Verzicht auf militärische Gewalt, ist heute deshalb wichtiger denn je. Er setzt weniger das theoretische Wissen als vielmehr das intuitive Gefühl voraus, dass das Schicksal und das Leiden jedes anderen Menschen auf der Erde unter anderen Bedingungen ebenso das Meinige hätte sein können. Arthur Schopenhauer begründete seine Ethik auf dem Begriff des Mitleids. „Grenzenloses Mitleid mit allen lebenden Wesen ist der festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten und bedarf keiner Kasuistik. Wer davon erfüllt ist, wird zuverlässig keinen verletzen, keinen beeinträchtigen, keinem wehe tun.“

Die Friedensbewegung war stark, solange die Kriege weit weg waren. Mit dem Kosovokrieg fiel sie in sich zusammen

Zum Zuschauen verurteilt

Ohne Mitleid dagegen wird der konkrete Mensch zur Manövriermasse und auf dem Altar abstrakter Werte und Interessen geopfert. Denn militärische Gewalt tötet, auch bei jeder „humanitären Intervention“, nicht nur Despoten und ihre Schergen, sondern auch unbewaffnete Zivilisten. Wer dafür plädiert, muss sich darüber bewusst sein, dass er über unschuldige Kinder in Belgrad, Bagdad und Tripolis das Todesurteil fällt, ohne ihnen ein Recht auf Verteidigung und fairen Prozess einzuräumen – ohne jene Menschenrechte also, auf die wir bei uns so stolz sind. Nur weil wir nicht direkt mit ansehen müssen, wie schutzlose Menschen durch Nato-Bomben zerfetzt werden, können wir ohne Scham über „Luftschläge“ und „Interventionen“ schwadronieren. Doch ein UNO-Mandat macht das Sterben für die Betroffenen nicht schöner.

Das beliebte Argument, man dürfe einem Krieg nicht tatenlos zusehen, darf nicht dazu missbraucht werden, selbst militärisch einzugreifen. Im Falle Libyens kommt hinzu, dass politische Lösungen von vornherein nicht versucht wurden. Trotz des militärischen Eingreifens konnte das Morden bislang nicht gestoppt werden. Zusehen tun wir noch immer. Verloren gehen aber Mitleid und Moral. Zurück bleibt die kalte Vernunft der Generäle. RAINER KREUZER