Wouter Weylandt stirbt beim Giro d'Italia: "Auf nur zwei Millimetern Gummi"
Der belgische Profi Wouter Weylandt verunglückt auf der vierten Etappe des Giro d'Italia tödlich. Das Fahrerfeld trauert – und diskutiert über mehr Sicherheit.
GENUA taz | Einen Sonnenaufgang nach dem tödlichen Sturz des belgischen Radprofis Wouter Weylandt ist kaum noch etwas wie gewohnt. Keine Musik ertönt. Kein Sprecher kündigt mit dröhnender Stimme die Meriten des Radprofis an, der gerade seine Unterschrift ins Startbuch setzt. Sehr wenige Schaulustige sind zu der Stelle im Genuaer Hafen gekommen, an der einst Nationalheld Giuseppe Garibaldi zu seinem Zug gen Süden aufbrach.
Der geringste Teil von ihnen ist darauf erpicht, sich ein Autogramm zu holen. Nur Lampre-Kapitän Michele Scarponi ringt sich ein Lächeln ab, als ein Fan ihn zum Erinnerungsfoto auffordert. Dies wirkt wie ein Ausrutscher.
Die meisten Gesichter sind voll hilfloser Trauer. Eine Traube von Menschen bildet sich um den Teammanager von Leopard Trek, Brian Nygaard, als er aus dem abgezäunten Areal kommt, in dem die Mannschaft des verunglückten Weylandt abgesondert ihr Startcamp aufgebaut hat. "Aus Respekt vor der Familie von Wouter Weylandt hat das Team entschieden, dass wir das Rennen weiterführen werden. Der Vater sagte, dies sei im Sinne seines Sohns", erklärte der Däne. In solchen Momenten rücke "die Familie des Radsports enger zusammen".
Das ist zu spüren. Erinnerungen an Weylandt werden hervorgeholt. "Er war ein toller Kumpel, hat immer die anderen unterstützt und sich gut in die Mannschaft eingefügt. Einen Moment, den ich nie vergessen werde, ist die Umarmung nach seinem Etappensieg beim letzten Giro in Middelburg", erzählt Alessandro Tegner, Teamsprecher von Quick Step, dem vorletzten Arbeitgeber von Weylandt.
Erinnerungen an den Tod von Fabio Casartelli
Viele der Älteren erinnern sich an den Sturz des Italieners Fabio Casartelli bei der Tour de France 1995. "Ich war damals bei Fabio dabei und war auch jetzt nah dran. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich so etwas Schreckliches zweimal erleben muss", sagte Pietro Algeri. Der Italiener war vor 16 Jahren mit Lampre unterwegs und sitzt jetzt im Begleitfahrzeug von Movistar. "Ich befand mich im vierten Wagen hinter Weylandt. Ich sah nur ein Rad durch die Luft fliegen. Ein Sturz, dachte ich. Das passiert in diesem Sport. Dann sah ich das schwarze Trikot am Boden und danach das Gesicht. Er muss mit der rechten Gesichtshälfte direkt in die Mauer gekracht sein, nachdem er das Gleichgewicht verloren hat. Das Blut floss wie damals bei Casartelli", sagte Algeri. Die Etappe danach sei "wie ein Begräbnis über 200 km" gewesen. "Obwohl die Fahrer zum Gedenken an Casartelli nur ein langsames Tempo anschlugen, waren sie erschöpfter als nach einer normalen Etappe", schloss er.
Wie in einer Zeitschleife befindlich legte auch das aktuelle Peloton die Etappe von Genua nach Livorno in gemäßigter Geschwindigkeit zurück. Jedes Team führte 10 Kilometer lang. Den letzten Abschnitt übernahmen die acht verbliebenen Fahrer von Leopard Trek. Sie überquerten den Zielstrich gemeinsam mit den vier Trägern der Wertungstrikots.
"Auf nur zwei Millimetern Gummi jagt man über den Asphalt"
Diese vierte Etappe des Giro d'Italia bot ein kurzes Innehalten. Beim fünften Tagesabschnitt am Mittwoch wird aber wieder die Routine einziehen. "Radsport ist gefährlich. Auf nur zwei Millimetern Gummi jagt man über den Asphalt", sagte Valerio Piwa, sportlicher Leiter von Team HTC Highroad.
Einen kritischeren Diskurs schlug sein Fahrer Marco Pinotti an: "Von Jahr zu Jahr werden die Rundfahrten spektakulärer. Ich habe nichts gegen harte Etappen. Aber ich habe etwas dagegen, wenn das Spektakel auf Kosten unserer Sicherheit noch intensiviert wird." Pinotti gestand: "Ich hatte vor der dritten Etappe Angst. Ich habe das auch den Mechanikern gesagt."
Löcher im Straßenbelag
Seiner Beobachtung nach wies der Straßenbelag bei der Abfahrt Löcher auf. "Ich habe mir dort zwei Reifenschäden geholt. Ich verstehe nicht, wie man solch eine Abfahrt als die erste Abfahrt des Tages so kurz vor dem Ziel positionieren kann. Über 200 Fahrer jagen in voller Geschwindigkeit die engen Straßen herunter. Das ist ein viel zu großes Risiko", sagte der erste Träger des rosa Trikots.
Auch Weylandt hatte Angst vor diesem Tag. In einer SMS an seinen Manager soll er Sorge wegen der unruhigen Fahrweise im Feld gehabt haben, meldete ein belgischer Onlinedienst. Giro-Direktor Angelo Zomegnan kündigte "erneute Sicherheitsüberprüfungen der kommenden Etappen" an. Für Weylandt kommen sie zu spät. Gesundheit und Leben der anderen könnten sie retten. "Man hätte andere Straßen wählen können, und es wäre immer noch hart gewesen", sagt Pinotti. Wenn er gewinnt, heben die italienischen Medien oft hervor, dass er studierter Ingenieur ist. Es wäre wünschenswert, wenn das Wort des Technikwissenschaftlers im Sattel auch Gewicht bei der Risikoabwägung hätte.
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