: „Worauf sollen sie warten?“
■ Im März läuft in Karlsruhe eine Verfassungsklage gegen die Warteschleife, auf die Ostbeamte geschickt wurden/ 10.000 unterschrieben die Prozeßvollmacht INTERVIEW
250.000 ehemalige Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in der DDR wurden auf die sogenannte Warteschleife geschickt. Sechs bis neun Monate ruht ihr Arbeitsverhältnis. Dabei erhalten sie siebzig Prozent ihres Gehalts. Gegen diese und andere Bestimmungen des Einigungsvertrages wurde auf Initiative des Arbeitslosenverbandes eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. In dieser Woche nun unterschrieben rund 10.000 Betroffene aus allen fünf neuen Ländern die Vollmachten für den Prozeß, der voraussichtlich im März geführt wird.
Das Verfassungsgericht in Karlruhe hat Parteien und Gewerkschaften aufgefordert, bis Ende Januar ihre Postition zu der Klage darzulegen. An den ostdeutschen Arbeitsgerichten wurde die Entscheidung über Einzelklagen gegen den Wartestand bis April ausgesetzt.
Die taz sprach mit dem Präsidenten des Arbeitslosenverbandes über das Wie und Warum der Klage.
taz: Warum ist die „Warteschleife“ verfassungswidrig?
Klaus Grehn: Der Einigungsvertrag regelt für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes das automatische Ende der Arbeitsverträge, ohne daß es einer Kündigung bedarf. Wenn man keine Kündigung hat, kann man sich auch nicht dagegen wehren. Und das ist verfassungswidrig. Das dürfte man mit Bürgern der Altbundesländer nicht machen. Die Regelung im Einigungsvertrag verstößt also außerdem gegen das Prinzip der Gleichheit. Eine weitere Geschichte: Der Einigungsvertrag regelt die Warteschleife generell — für Einrichtungen des Bundes und der Länder. Damit überschreitet der Bund seine Gesetzgebungskompetenz.
Der zum Teil stark aufgeblähte öffentliche Dienst in den neuen Bundesländern muß umstrukturiert werden. Wenn nicht mittels Wartestands, wie dann?
Wir legen ja keine Verfassungsbeschwerde gegen die Umstrukturierung ein. Wir erwarten auch nicht, daß die Ministerien wieder aufleben und die Leute wieder eingestellt werden. Das sagen wir den Betroffenen auch. Aber die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sollen, wenn, dann mit einem normalen Kündigungsverfahren mit geregelten Kündigungsfristen, voller Gehaltszahlung, sozialer Abfederung und Abfindung — kurz auf gesetzlicher Grundlage — entlassen werden. Und das hieße, daß das in seiner Novellierung gültige Arbeitsgesetzbuch der DDR, das Betriebsverfassungs- und das Kündigungsschutzgesetz eingehalten werden.
Sind nicht vor allem die ministerielle Bürokratie und die Angestellten der Länderbehörden betroffen?
Das waren die ersten. Aber jetzt betrifft es den gesamten öffentlichen Dienst, der 1,6 Millionen Beschäftigte hatte. Was soll man davon halten, wenn schwangere Frauen und Schwerstbehinderte faktisch kalt entlassen werden. Oder wenn ein Zahnarzt, der 32 Jahre praktiziert hat und nun das stolze Alter von 64 Jahren erreicht hat, in die Warteschleife geschickt wird? Der fragt sich doch, worauf er noch warten soll. Abgewickelt werden international dotierte Wissenschaftler. Das ist ein Schlag gegen die Intelligenz. Geschrieben hat uns das Diabetikerheim in Rheinsberg. Die Forstarbeiter haben keine Arbeit mehr — in Brandenburg allein bis zu 7.000. Von der Reinigungsfrau mit einem Gehalt von 500 Mark bis zum Minister, der 3.600 bekam — alle werden in den Wartestand geschickt. Ist das nicht Wahnsinn?!
Niemand hat eine reale Übersicht, was da eigentlich gemacht wird. In den Schreiben der jeweiligen Abwicklungsstelle heißt es dann nur noch, das Arbeitsverhältnis ruhe, und es bestehe keine Verpflichtung zur Arbeit, und dann noch die Floskel, daß man sich bemühen, es aber mit „hoher Wahrscheinlichkeit keine Weiterverwendung im öffentlichen Dienst“ mehr geben werde. Ich betone: Es handelt sich bei den Betroffenen nicht vorrangig um Seilschaften, Altlasten, Parteimitglieder, Stasi-Leute. Ich halte es für unzulässig, soziale Probleme auf diese Weise zu diffamieren und diskriminieren und sich letztlich aus der Verantwortung zu stehlen. Irina Grabowski
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