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Woran hat et jeleegen?

Die Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl ist eine sehr ernste Sache. Gewonnen hat eine Agentur, aber wer trägt die Schuld an den vielen Niederlagen? Die bundesweite Presse weiß es.

Am Abend des zweiten Wahlgangs, als längst klar ist, dass mancher Plan misslingt. Foto: Jens Volle

Von Cornelius W. M. Oettle↓

Wenn einer bei uns Witze über die Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Smartphone und nimmt übel. Die taz-Glosse zum ersten Wahlgang, in der der Autor dieses Textes das Geschehene zusammengefasst und das nun Eingetroffene vorhergesagt hatte, sei unter anderem „ein Tiefpunkt“, „beschämend“ und, Tatsache, „zerstört die Demo­kratie“. So urteilten stuttgartkundige LeserInnen aus allen Ecken unserer Republik. Sorry, Demokratie! Das war wohl nix. Versuchen wir’s nach dem zweiten Wahlgang also nochmal. Aber nicht in der taz, sondern hier bei Kontext – sonst liest das am Ende wieder jemand.

Kehren wir erstmal die Scherben zusammen. Fragen wir uns gemeinsam, versöhnlich, liberal: Woran hat et ­jeleegen? Wir wollen ja auch unterm neuen Oberbürgermeister weiterhin friedlich miteinander leben in unserem Kesselkasten­system: Vermieter neben Mieter, ­Daimleraktionär neben Daimlerarbeiter, Halb­höhe neben Halbdackel. Nicht dass nächste Woche wieder Horst Seehofer die „Königsstraße“ (Nopper) untersuchen muss.

Nehmen wir daher die Außenperspektive ein. Kommentiert wurde unsere im Großen und Ganzen völlig bedeutungslose Stuttgarter Schicksalswahl nicht nur vom Satireressort der taz, sondern auch von „Bild“ bis Böhmermann. Der „Tages­spiegel“ schrieb noch am Abend vor dem finalen Urnengang: „Dieser Nobody macht vor, wie man künftig Wahlen gewinnt.“ Und zwar indem man gegen den schlechtesten CDU-Kandidaten seit Boris Palmer verliert.

Wer schuld am Wählerwillen ist, ist allen klar: Es ist Doktor Frank Nopper selbst. Er hätte zugunsten seines Kollegen aus dem Mitte-Lager zurückziehen müssen, dann hätte sich Schreier vielleicht gegen den linksextremen Brutalradikalo Rockenbauch durchgesetzt.

Wäre ein morsches Stück Rinde öko genug gewesen?

Bitter ist der Ausgang dieser Wahl natür­lich nicht für unseriöse Clowns wie unsereinen – wir sind’s gewohnt zu verlieren, deshalb machen wir ja Witze. Entschuldigt sei an dieser Stelle auch, dass der letztendlich Zweitplatzierte in besagtem Demokratiezerstörungsartikel ebenfalls als Clown bezeichnet wurde. Mir war derselbe Fehler wie der SPD unterlaufen: Ich dachte, er wäre einer von uns.

Nein, bitter ist’s zuvörderst für Stuttgarts jonge Leut’, für Fridays for Future, die zu Recht auf eine linksgrüne Mehrheit gehofft hatten. Und die auf schmerzhafte Weise lernen: Dem großen Gott Weiterso fällt immer etwas ein, damit sich nichts Essenzielles ändern muss. Seien es wie in der Vergangenheit Konservative im grünen Mantel oder eben eine Schweizer Agentur, die die eigentliche Siegerin dieser Wahl ist. Sie hat sich eindrucksvoll für den deutschen Markt empfohlen, und ich hoffe, dass sie eines Tages meinen persönlichen Traum erfüllen und Christian Lindner zum SPD-Kanzler machen kann.

Ja, man muss nach dieser Abstimmung einfach Fan der Agentur Rod sein. Dieser Wahlkampf war schlichtweg genial. Schon die Idee eines parteilosen SPD-Kandidaten! Brillant! Allein das dürfte für 30 Prozent der Stimmen gesorgt haben. Mit dieser Killerkampagne hätte man sogar ein morsches Stück Rinde zum Oberbürgermeister-elect machen können, aber selbst das wäre diesen verdammten Linken wahrscheinlich nicht öko genug gewesen. Von einem „Achtungserfolg“ war in der dpa-Meldung zu lesen, wobei ehrlicherweise im Lichte dieser Wahlniederlage von Erfolg keine Rede sein kann. „Achtungsmisserfolg“ klingt aber auch schief. Es sei denn, es wäre das Ziel gewesen, ohne Not und Sinn eine grün­rote Mehrheit zu spalten und dabei einen CDU-Bürgermeister zu installieren. Dann wäre das in der Tat ein voller Erfolg gewesen, alle Achtung.

Stuttgart sieht Rod

Ebenfalls haben wir durch Beobachtung fachkundiger Medien aus diesem Lokalwahlkampf gelernt, dass das Parteiensystem als Ganzes einfach nicht mehr zeitgemäß sei. Das meint übrigens auch der liberale Vordenker Björn Höcke. Aber gut, womöglich braucht es wirklich keine Parteien, solange sie nur Blendwerk sind, welches ein und dieselbe Politik mit freundlichen Begriffen wie „sozialdemokratisch“, „christlich“ oder besonders ironisch „Alternative“ etikettiert. Eventuell sollte man zukünftig tatsächlich lieber über konkrete Inhalte abstimmen. Zum Beispiel „Grundlagen des menschlichen Lebens erhalten“:

Ja (Rockenbauch)

Vielleicht (Schreier)

Nein (Nopper)

Da hätte ich dann vermutlich auch für Nopper gestimmt. Aber klar, Sie haben’s gemerkt, das war schon wieder schwäbische Hybris: Der Stuttgarter OB kann den Planeten selbstredend nicht retten, das schafft allenfalls die Agentur Rod. Für die ich jetzt nach Schreiers Ausscheiden gerne als hiesige Werbetrommel ebenfalls kostenfrei mit dem Slogan „Stuttgart sieht Rod“ weitermache.

Zum Schluss meckern wir noch ultra­liberal und Frieden stiftend über die geringe Wahlbeteiligung, denn das bringt Likes aus allen Lagern. Außerdem ist bald Weihnachten, wovon der heitere Tannen­baum im toten Bahnhof zeugt. Nicht einmal jede zweite berechtigte Person hat abgestimmt. Doch keine Sorge, schon beim nächsten Mal wird das bestimmt ganz anders sein. Der gesamte Verlauf dieser Wahl hat jungen WählerInnen garantiert unheimlich Lust auf Demokratie gemacht. Die Stuttgarter Nachrichten haben dazu eine Gruppe Jungmenschen im Wahllokal befragt und als Antwort ein schlimmschönes Fazit erhalten: „Hannes Rockenbauch steht für die Politik ein, die uns am nächsten ist“, meinten sie, und seufzten auf Nachfrage, ob sie an dessen Wahlsieg glauben: „Wenn man ehrlich ist, eher nicht. Wir leben in einer konserva­tiven Stadt.“

Cornelius W. M. Oettle ist etwas jünger als Marian Schreier, so radikal wie Frank Nopper und fährt viel seltener Fahrrad als Hannes Rockenbauch. Weil es bei ihm nicht für eine Werbeagentur gereicht hat, schreibt er fürs „Wahrheit“-Ressort der taz, die Satirezeitschrift „Titanic“ und arbeitet seit Januar im Europäischen Parlament als Assistent des Abgeordneten Nico Semsrott.

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