Wolfsburg Grizzlys bleiben sich treu: Leider wieder nur moralischer Sieger
Die Wolfsburg Grizzlys ärgern auch mit gekürztem Budget die Großen des Eishockeys. Diese Saison war wieder erst im Finale gegen Serienmeister München Schluss
Selbst dieser besonders hämische Gesang konnte keine neuen Kräfte mehr freisetzen. „Ihr werdet nie deutscher Meister“ – Töne wie die von den Fans des EHC München klingen derbe. Aber sie gehören zu den üblichen Sticheleien des Sports und damit natürlich auch in die Puck-Branche.
Die Finalserie der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) mit Titelverteidiger München und Vizemeister Grizzlys Wolfsburg hat bewiesen, was echte Leidenschaft ausmacht. Die Fans der beiden Clubs haben sich nicht gestritten und gehauen, sondern besungen. Die Spieler sind beherzt in die Zweikämpfe gegangen, ohne grob unsportlich zu werden. Wolfsburg hat engagiert gekämpft und ist erneut Vizemeister geworden. Die Frage bleibt: Wie konnten es die Grizzlys zum wiederholten Mal schaffen, so weit zu kommen und sich so aufzubäumen?
Der Job des Außenseiters macht ihnen einfach großen Spaß. Keine Chance zu haben und diese nutzen zu wollen – nach dieser lobenswerten Einstellung riecht seit Jahren der Schweiß, mit dem die Wolfsburger Profis in den Stadien der höchsten deutschen Spielklasse Duftmarken setzen.
Zuletzt sind die Niedersachsen eine Woche lang zwischen ihrer kleinen Halle am Mittellandkanal und der Olympiahalle in München gependelt. Sie haben alles gegeben, um im Duell mit dem EHC endlich mal deutscher Meister zu werden. Aber rund um ihre dritte Finalteilnahme war früh absehbar: Das sportliche Wunder wollte wieder nicht gelingen. Meister München war in der Serie „Best of seven“ nicht zu bezwingen.
Am Ostersamstag in Wolfsburg, als dem Team von Chefcoach Don Jackson ein beeindruckender 7:2-Erfolg gelungen war, hatten die Grizzlys Tore im Minutentakt kassiert. Gestern folgte in München mit 4:0 der entscheidende vierte Sieg des EHC zum nächsten Titelgewinn.
Trotzdem oder erst recht: Diese Geschichte vom Verein mit dem kleinen Etat, der Großes vollbringt, ist immer wieder schön. Die Wolfsburger gehören seit zehn Jahren zu den besten Teams der DEL, ohne dass ihre Strukturen das eigentlich hergäben. Ihr Saisonetat von nur noch sieben Millionen Euro ist chronisch gering und im Vorjahr dadurch geschrumpft, dass sich Hauptsponsor Škoda zurückgezogen hat. Umschichtungen beim Sportsponsoring des Volkswagen-Konzerns, der unter seiner Diesel-Affäre leidet und seine Buchungsposten genau überprüft, sorgen für dünnes Eis bei den Grizzlys. Dass ihr Budget latent gefährdet ist, hätte 2016 um ein Haar zu ihrem Rückzug aus der DEL geführt. Und die Debatten um weitere Kürzungen nehmen kein Ende. Nur weil VW im Vorjahr als direkter Geldgeber eingesprungen ist, gibt es den Vizemeister noch. Die Art und Weise, wie er seine Sportart seitdem noch lebt, verdient Applaus ergänzt durch Hochachtung.
Einen echten Star sucht man in den Reihen der Grizzlys vergeblich. Sie haben mit Nationalspieler Felix Brückmann aber zumindest einen sehr starken Torhüter. Und ihr Trainer Pavel Gross gilt als Meister des Taktierens und Tüftelns. „Wir sind eine Arbeitertruppe“, sagt der sportliche Anführer einer Mannschaft, die stets mit hohem Einsatz spielt und dem Gegner den Spaß am Kombinieren verdirbt.
Aber diese Stärke als kollektive Spaßbremse, die Stammgast in den Playoffs der DEL ist, hat Grenzen. Es war beeindruckend, wie der Münchener Routinier Michael Wolf im vierten Spiel der Finalserie einen Schlagschuss in das Wolfsburger Tor gewuchtet hatte. Der Puck war zum vorentscheidenden 4:2 am verblüfften Grizzlys-Schlussmann Brückmann vorbei in die Maschen gerauscht.
In diesem Moment wurde auch deutlich, wie groß die Überlegenheit der Münchener war. Sie werden nicht von einem Autobauer-, sondern von einem Brause-Konzern finanziert. Ihr Etat beträgt mehr als zwölf Millionen Euro. Bei allem Respekt vor konstant guten Leistungen wird der erneute Titelgewinn des EHC München nichts daran ändern können, dass Wolfsburg der moralische Sieger ist.
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