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Wohnzimmergespräche fachgerecht geführt

■ Neu aus der Gesundheitswerkstatt von Radio Bremen: „Partnerschaft leben lernen“, eine Beziehungsschule

An der Wohnzimmertür hängt ein Schild: „Nicht stören!“ Drinnen sitzen Herr und Frau P. vis-à-vis am Tisch, zwischen ihnen steht ein Pappschild mit zwei Seiten. Herr P. liest: „Sich öffnen, von sich reden“; Frau P. liest: „Offen zuhören, zusammenfassen“. Herr P. sagt, daß er in diesem Jahr allein in Urlaub fahren will. Frau P. antwortet: „Wenn ich dich richtig verstehe, willst du in diesem Jahr allein in Urlaub fahren.“

Die absurd anmutende Szene wird sich ab 20. Februar in zahlreichen deutschen Wohnzimmern abspielen. Denn dann strahlen mehrere dritte Programme der ARD acht Folgen einer „Beziehungsschule“ aus, Thema: „Partnerschaft leben lernen“. Es handelt sich – nach der Partnermassage, dem Autogenen Training und der Rückenschule – um eine neue Staffel von Sendungen aus der „Bremer Gesundheitswerkstatt“ von Radio Bremen. Und was Herr und Frau P. und all die anderen in ihren verrammelten Wohnzimmern machen, sind Hausaufgaben.

Beziehungsschule im Fernsehen, das geht so: Der Trainer (Klaus Haak, Redakteur der Gesundheitswerkstatt) und seine Fachfrau für den theoretischen Hintergrund (Annelie Keil, Sozialpädagogin und „Gesundheitswissenschaftlerin“ an der Uni Bremen) reden über Beziehungen und Beziehungsfallen. Sie sitzen auf Sofas unter einem Riesenregenbogen (Versöhnung!). Auf anderen Sofas sitzen vier Paare, von frischverliebt bis altgedient. Die Sofas stehen im Kreis, in der Mitte stehen zwei als heiße Stühle fungierende purpurne Sesselchen. Hin und wieder nimmt ein Paar auf den Sesseln Platz und übt Beziehung, was in der Beziehungsschuleimmer heißt: reden. Hinter dem Kopf des jeweiligen Partners tauchen „Regeln“ an der Wand auf. Die Projektionen werden vom Trainer mit zwei Schaltern, die er in den Händen hält, gesteuert. Der Trainer paßt auf wie ein Luchs und sagt: „Stop!“, wenn wieder einer in die Beziehungsfalle getappt ist.

Beziehungsfallen sind: das „indirekte Reden“, das sorgfältig den Hinweis auf eigene Wünsche vermeidet; Verallgemeinerungen, in denen Satzfetzen wie „immer mußt du“ und „alle finden, daß“ eine große Rolle spielen; das Verwechseln von Verhalten und Eigenschaft des Partners. Solche Beziehungsfallen machen, so sagt die Bremer Beziehungsschule, regelmäßig die Kommunikation zwischen Partnern kaputt. Folge: jede dritte Ehe wird geschieden, in großen Städten schon jede zweite.

In der Beziehungsschule soll nun neu (oder überhaupt erst mal) gelernt werden, wie man befriedigend und wirkungsvoll miteinander reden kann. Dafür wird eine Reihe eherner Regeln aufgestellt, die jedes Sichgehenlassen oder gar Ausflippen verhindern sollen – von sich reden, konkret sein, Gefühle äußern, den andern bestärken, und immer wieder: zusammenfassen. Das kommunikationsgestörte Paar ist nun nicht mehr allein im Studio/Wohnzimmer – eine Instanz kontrolliert die beiden Diskutierenden. Was man dann zu hören bekommt, klingt für Unbeteiligte allerdings fürchterlich hölzern und gekünstelt; die Paartrainer indes schwören auf diese Methode. Sie soll, „wissenschaftlich erwiesen“, die Scheidungsrate zehnteln helfen.

Das ist alles nicht neu. Manche erinnert dieses Kommunikationstraining an ihre Konfirmations- zeit, andere an ihr Ehevorbereitungsseminar. Tatsächlich wird das Partnerschaftslernprogramm „EPL“, das der Beziehungsschule zugrunde liegt, schon lange und gern in kirchlichen Gruppen und Kreisen angewandt. Neu ist aber der Versuch, dem Fernsehvolk das Training übers TV nahezubringen. Und das auch noch auf eine schon wieder sympathisch umzeitgemäße Weise: Soviel Wort! So wenig Action! Kaum Schnitte! An einem Stück gedreht! Ein Volkshochschulkurs 1:1 abgefilmt!

Bloß ansehen kann man sich die Beziehungsschule nicht – es gibt nichts zu konsumieren. Man kann nur mitmachen und ausprobieren, ob das Training über ein altes Schweigen oder einen immer gleichen frustrierenden Ablauf in der Partnerkommunikation hinweghilft. Herr und Frau P. übrigens haben nach zehn Minuten in ihrem Wohnzimmer die Hausaufgaben abgebrochen. Es hatte sich bei ihrem EPL-Gespräch nach dem vorgegebenen Thema „Ich fahre allein in Urlaub“ herausgestellt, daß Herr P. tatsächlich überlegt, in diesem Jahr allein in Urlaub zu fahren. Da war ein Riesenstreit losgebrochen. In der Beziehungsschule aber gilt: kein echter Konfliktstoff zu Hause! Ist ja Schule, nicht Leben.

Burkhard Straßmann

Start der Beziehungsschule: Heute, Montag, 15.30 Uhr, N3.

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