Wohnungsnot in Südafrika: Die Illegalen von Hangberg
Die südafrikanische Regierung bekommt die Wohnungsnot nicht in den Griff. In Hout Bay werden dennoch illegale Siedlungen geräumt.
Delon liegt auf einer Matratze auf dem Boden. In der Hütte ist es dunkel, das stoffverhängte Fenster hält die grelle Mittagssonne draußen. Delons rechte Kopfhälfte ist bandagiert. Seine Mutter bereitet auf einem Plastiktisch das Essen vor. Mit seiner Schwester und seinen Eltern lebt der 22-Jährige auf engstem Raum.
Letzte Woche hat Delon im Gummikugelhagel sein rechtes Auge verloren. Die Polizei rückte mit gepanzerten Wagen ein, um die illegal gebauten Hütten von Hangberg abzureißen. Delon und andere Bewohner wehrten sich mit Molotowcocktails. Die Polizei schoss in die aufständische Menge - und riss 29 Hütten trotz des Widerstandes ab.
Delon wirkt resigniert. Sein Freund Rafael zimmert dagegen trotzig aus den abgerissenen Latten seine Hütte neu zusammen. Er ist sehr aufgebracht: "Ich bin 21. Wo soll ich hin? Ich kann nicht im Haus meiner Mutter bleiben. Ich will Kinder, ich will eine Frau. Wie kann ich mir eine Frau nehmen, wenn ich keine Wohnung habe?"
Rafael und Delon, beide arbeitslos, haben dasselbe Problem wie viele junge Männer ihrer Gemeinde: Sie sind erwachsen und haben keinen eigenen Raum. Da sie sich eine reguläre Wohnung nicht leisten können, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf Land, das ihnen nicht gehört, ein Obdach zu stellen.
Hangberg, das Viertel der Coloured im Fischerort Hout Bay, liegt zwischen drei Bergen und dem Atlantischen Ozean. In der Kapregion leben besonders viele Afrikaans sprechende Farbige - Mischlinge schwarzafrikanischer, europäischer oder asiatischer Abstammung.
Hout Bay hat mit denselben Armuts- und Wohnungsproblemen zu kämpfen wie der Rest von Südafrika. Allerdings hebt sich Hout Bay wegen seiner außerordentlich schönen Lage und seinem Einwohnermix von anderen Orten ab. Nirgendwo sonst in Südafrika leben Schwarze, Farbige und Weiße räumlich so nah, aber sozial so unüberbrückbar weit auseinander.
In Hout Bay stehen teure Villen und Wellblechhütten, die keine 100 Euro wert sind, nur einen Kilometer voneinander entfernt. Die eine Hälfte des Sentinel-Bergs befindet sich in Besitz von vier weißen Familien; auf der anderen Hälfte drängen sich 4.000 Angehörige der alteingesessenen farbigen Fischerkommune.
Zu den Zwangsräumungen in Hangberg kam es, weil einige Hütten illegalerweise auf dem Feuerschutzstreifen standen - einem gerodeten, mehrere Meter breiten Landstreifen zwischen Busch und bebautem Gebiet, der im Falle eines Buschbrands als Schutzwall dient. Weitere 54 Hütten sollen demnächst abgerissen werden. Die Einwohner von Hangberg statten sich bereits mit Steinschleudern aus.
So auch Jonathan Steenberg, dessen Hütte von der nächsten Abrissrunde betroffen sein wird. Er wirkt sehr friedlich, wie er oben auf dem Berg vor seiner Tür sitzt, aber er weiß sich nicht anders zu helfen- diese Hütte ist alles, was er hat: "Ich stehe seit 20 Jahren auf einer Warteliste für ein Haus, aber die Stadt stellt uns keine Häuser zur Verfügung. Was sollen wir also machen? Wenn mir die Stadt eine andere Lösung zeigt, reiße ich meine Hütte selbst ab. Meine Freundin erwartet nächsten Monat ein Baby. Wo soll ich hin?"
Der Kampf um das Land in Hout Bay begann vor mehr als 50 Jahren. Die ansässige farbige Fischerkommune wurde während der Apartheid zwangsumgesiedelt. Hinter dem Hafen stellte man ein Wohnheim für sie hin. Dies wurde bald zu klein und die Fischer bauten ihre Hütten immer weiter den Sentinel-Berg hoch, der den Hafen von Hout Bay einkesselt.
Niemand hier glaubt der Regierung, dass es um den Feuerschutzstreifen geht. Allen voran Richard, ein weißer Althippie, der seit 15 Jahren in Hangberg lebt und sich mit dieser Kommune identifiziert. Er zeigt auf den Berg, dort, wo die Weißen leben: "Siehst du den Feuerschutzstreifen gegenüber? Den haben sie in den letzten sieben Jahren dreimal verlegt, um für die Villen der Reichen Platz zu schaffen. Warum verlegen sie ihn für uns nicht?"
Die Regierungssprecherin der Region, Kylie Hatton, kontert: "Wir müssen eine Grenze gegen illegalen Wohnungsbau ziehen. Die Stadt muss handeln, wo das Gesetz gebrochen wird."
Einige Hütten stehen auf gefährlichem Gelände, und das, nachdem die Gemeinde der Premierministerin der Provinz Westkap, Helen Zille, 2008 zugesagt hatte, keine Baracken mehr dort aufzustellen, sondern auf die Sozialwohnungen zu warten, die sie für die Region plant. Die Regierung versprach auch, Hangberg mit befestigten Straßen, sanitären Anlagen und Freizeitmöglichkeiten aufzuwerten. Davon wurde bislang allerdings nichts umgesetzt.
Helen Zille schiebt die Schuld dafür unter anderem auf die Gemeinde, die eine Zusammenarbeit torpediere. Der Gemeindevorsteher von Hangberg, Greg Louw, streitet das ab: "Unsere Gemeinde will mit Helen Zille zusammenarbeiten, aber es existiert gar kein Plan für uns. Die Politiker haben uns komplett im Stich gelassen."
Die Einwohner von Hangberg befürchten, dass man sie kollektiv in den trostlosen Ghetto-Vorort Blikkiesdorp verfrachten könnte, um aus Hangberg ein Nobelviertel zu machen. "Für uns ist das hier keine ,informelle Siedlung', wie sie es nennen", sagt Richard, "für uns ist das hier das Land unserer Großväter. Sie haben von diesem Land gelebt und uns gelehrt, wie wir hier überleben. Aber wenn man uns jetzt nach Blikkiesdorp steckt, wo ist unser Meer? Wovon sollen wir leben? Wir geraten in die Kriminalität, weil es nichts anderes zu tun gibt."
Billige Wohnhaussiedlungen wie Blikkiesdorp, die die südafrikanische Regierung für die Armen weit außerhalb der Stadt baut - dort, wo die Baukosten niedrig sind -, treiben die Bewohner weiter in die Armut. Denn an diesen Standorten gibt es keine Jobs, keine Zerstreuungsmöglichkeiten, und eine Fahrt in die Stadt, wo Infrastruktur und Arbeitsplätze vorhanden sind, kostet nicht nur sehr viel Zeit, sondern auch mehr Geld, als sich die meisten leisten können.
So streiten alle um Land in Hout Bay. Die Reichen wollen verhindern, dass sich die Hüttensiedlungen weiter ausbreiten und das Stadtbild verändert, die Kriminalität zunimmt und die Immobilien an Wert verlieren.
Im zweiten Armenviertel von Hout Bay, in Imizamo Yethu, wo ausschließlich Schwarze leben, schütteten Einwohner jahrelang ihr Abwasser in einen Regenwasserabfluss. Jedes Mal, wenn es in Hout Bay regnete, floss dieses Abwasser die Grundstücke hunderter Hausbesitzer herunter. Die ökologischen Folgen waren verheerend. Eine Wasseranalyse des Flusses in Hout Bay wies 2006 einen E.-coli-Wert von 9 Billionen auf hundert Kubikmeter aus - alles ab 300 gilt bereits als lebensbedrohlich.
Viele Weiße können nicht verstehen, warum sich ihre Nachbarn nicht an die Gesetze halten und Hütten auf Wasserrohre oder sonst ungeeignete Stellen wie zum Beispiel den angrenzenden Nationalpark bauen. So auch ein älterer Mann, der seine Einkaufstüten auf der Hauptstraße von Hout Bay in seinen Geländewagen räumt: "Gott sei Dank greift die Regierung durch. Man kann nicht einfach ein Häuschen irgendwo hinstellen, wo es einem gerade passt. Man hat den Einwohnern von Hangberg alternative Wohnmöglichkeiten aufgezeigt. Sie haben sie abgelehnt."
Len Swimmer, der Sprecher des Hout-Bayer-Anliegerverbands, der die Interessen der weißen Einwohner von Hout Bay vertritt, sagt: "Wir lehnen jede illegale Bebauung von Hout Bay energisch ab. Das heißt nicht, dass wir die Anliegen gesetzestreuer Bürger solcher Siedlungen ablehnen. In Gegenteil, wir unterstützen, dass diese Siedlungen durch vernünftig angelegte Dörfer ersetzt werden, die in die größere Gemeinde von Hout Bay integriert sind und die eine Infrastruktur haben, die man für einen runden Lifestyle braucht."
Illegale Siedlungen wie Imizamo Yethu oder Hangberg stellen zweifelsohne ein Katastrophen- und Gesundheitsrisiko dar. Sie sind allerdings, wie auch sonst in Südafrika, die Konsequenz eines enormen Bevölkerungswachstums und einer Regierung, die den drängenden Wohnungsbedürfnissen der Mehrheit ihrer Bürger nicht schnell genug gerecht wird.
Dabei wäre Hout Bay der perfekte Ort für ein Pilotprojekt der Klassenintegration - etwas, was es in Südafrika bisher nicht gab. Leider haben die Einwohner von Hangberg den Glauben daran verloren, dass sie in Hout Bay noch erwünscht sind.
Geraldine, 51, hat zeitlebens in Hangberg gelebt. Seit vorletzter Woche läuft sie nervös die einzige befestigte Straße von Hangberg auf und ab: "Wenn sie können, dann werden sie uns alle aus Hangberg wegbringen. Weißt du warum? Wegen den Pavianen." Sie zeigt auf die Villen gegenüber und meint nicht die einheimischen Kap-Paviane, sondern die Weißen. "Die haben zu spät bemerkt, dass wir, die Affen, hier zu lekker leben. Zu spät. Sie haben zu spät gesehen, dass das hier ein schöner Ort ist."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland