: Wohnungsdeal durch gesetzliche Hintertür
■ Ostberlins Wohnungsbaugesellschaften nutzten trickreich eine Regelungslücke des Altschuldenhilfegesetzes aus
Als die Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften im Dezember massenweise Wohnungen aus ihrem Bestand veräußerten, ist es nach Ansicht von Bündnis 90/ Grüne nicht mit rechten Dingen zugegangen. Wie die baupolitische Sprecherin der Fraktion, Elisabeth Ziemer, gestern auf Anfrage der taz erklärte, müßten die Kaufverträge „dringend auf Rechtmäßigkeit überprüft werden“, da unter Umständen versäumt wurde, vor der Veräußerung die Mieter zu fragen, obgleich dies gesetzlich vorgeschrieben sei. Ziemer beruft sich bei ihrer Forderung auf eine Auskunft des Bundesbauministeriums zu den Regelungen des Altschuldenhilfegesetzes. Danach mußten die Wohnungsbaugesellschaften, wenn sie einen Antrag auf Altschuldenhilfe gestellt haben und Wohnungen veräußern wollten, vorher die Mieter befragen.
Seit Erlaß des Gesetzes im Sommer letzten Jahres wurden bis zum 31. Dezember in Ostberlin 10.000 Wohnungen an Investoren verkauft, ohne daß die Mieter zuvor konsultiert wurden. Die Wohnungsbaugesellschaften erfüllten mit diesen Veräußerungen einen Teil des Kontingentes an Wohnungsverkäufen, die sie in den kommenden zehn Jahren zu tätigen haben. Laut Altschuldenhilfegesetz müssen sie bis 2003 15 Prozent ihres Bestandes verkauft haben, damit im Gegenzug der Bund die Altschulden übernimmt.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Wohnungen vorrangig den Mietern angeboten werden. Allerdings weist das Gesetz eine Regelungslücke auf, die sich die Wohnungsbaugesellschaften zunutze gemacht haben: Grundlage der Berechnungen ist der Bestand der Gesellschaften zum 1. Januar 1993, der Antrag mußte spätestens zum 31. Dezember 1993 gestellt werden. Für die Investoren war vor allem im letzten Jahr ein Kauf lukrativ, weil sie dann noch die bis zum 31. Dezember geltende Sonderabschreibung auf Betriebsvermögen von 50 Prozent nutzen konnten. Die Verkäufe wurden auf die Altschuldenregelung angerechnet, auch wenn sie vor dem entsprechenden Antrag getätigt wurden. Deshalb sind, so erklärte der Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Mitte, Karl-Heinz Schmidt, der taz, „alle in allerletzter Sekunde hingegangen“ und haben bei der zuständigen Berliner Bank den Antrag auf Altschuldenhilfe gestellt – nachdem sie zuvor ihre Verkäufe abgewickelt hatten. Zwar regte sich sowohl beim Verkauf zweier Häuser in der Leipziger Straße als auch bei der Veräußerung von 2.700 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee der Unmut der Mieter, doch die jeweiligen Wohnungsbaugesellschaften handelten, wie auch in den übrigen Bezirken, legal. Das Ergebnis der von der Grünen-Abgeordneten Ziemer geforderten Überprüfung ist folglich absehbar. Der Sprecher der Bauverwaltung, Ralf Schlichting, geht davon aus, daß „die Geschichte rechtens ist“, zumal diese Verfahrensweise im Lenkungsausschuß der für die Altschulden-Abwicklung zuständigen Kreditanstalt für den Wiederaufbau zwischen allen beteiligten Bauministerien und den Gesellschaften beschlossen worden ist. Die Mieter können sich nun damit trösten, daß, so Schmidt, Objekte verkauft wurden, „die unrentabel sind“. Man habe vor allem „Häuser mit hohen Instandhaltungskosten abgewälzt“. Dieter Rulff
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