Wohnugsnot zu Semesterbeginn: Zwischenmiete oder Turnhalle
Studienanfänger haben es in Hamburg besonders schwer, ein Zimmer zu finden. Studierendenwerk und Asta fordern Unterstützung von der Politik.
Auf der kleinen freien Stelle zwischen seinem Frühstück und seiner Garderobe steht Michael Zander und lächelt freundlich. Er hat zwei Milchtüten und eine Packung Cornflakes auf den blauen Teppichboden gestellt, den Rest des Zimmers füllen Sporttaschen, aus denen Kleidung quillt. In seiner Tür stehen eng zusammen: der Verwalter seines Wohnheims mit Krawatte, der Geschäftsführer des Studierendenwerks in Nadelstreifenanzug und die taz-Fotografin mit Stativ. „Ich suche nach Zimmern bis 400 Euro warm. Aber viele kosten 500 bis 600 Euro“, sagt Michael. „Echt? Du meine Güte!“, sagt Geschäftsführer Jürgen Allemeyer. „Und was sind das dann für Zimmer?“
Michael ist 19 Jahre alt, seit drei Wochen weiß er von seinem Biologie-Studienplatz in Hamburg. Er hat eines der sogenannten Last-Minute-Zimmer bekommen, die das Studierendenwerk für 15 Euro pro Nacht anbietet. Dort kann er sieben Tage übernachten. „Ich schwenke jetzt um“, sagt er. Statt nach einer langfristigen Unterkunft suche er zunächst nach einem Zimmer auf Zeit.
„Viele hangeln sich von Zwischenmiete zu Zwischenmiete“, sagt Maarten Thiele, Sozialreferent des Astas der Universität. Denn in der Stadt herrscht Wohnungsnot, und das spüren vor allem Studienanfänger mit wenig Geld. Der Bafög-Höchstsatz liegt bei 670 Euro im Monat. Damit wird ein kleines Appartement unerschwinglich und auch die Mieten für Zimmer in Wohngemeinschaften sind hoch.
Nina Berberlitz hat ihre Obergrenze um 50 Euro erhöht, sie sucht nun nach Zimmermieten bis 350 Euro. „Mehr geht einfach nicht“, sagt sie. Sie blickt auf Thieles Schreibtisch und zieht die Ärmel ihres Wollpullis über die Fingerknöchel. Die letzten drei Wochen hat sie im Sechs-Bett-Zimmer geschlafen, in einem Hostel am Hauptbahnhof. Jetzt übernachtet sie bei einer Freundin, in einem kleinen Zimmer, in dem auch Staubsauger und Putzmittel stehen.
Thiele drückt den Telefonhörer an seine Wange. „Viele pendeln, sogar von Lübeck“, sagt er. Der Wohnungsmangel treffe besonders die Studenten hart, die aus dem Ausland kommen, erklärt er. „Der telefoniert gerade mit dem ZDF“, flüstert ein Mädchen mit türkisfarbener Mütze und schließt die Tür.
Nebenan knien zwei junge Frauen und ein Mann auf dem PVC-Boden. Leise bemalen sie eine Stoffbahn. „Ein neues Quartier entsteht“, steht dort mit Bleistift vorgezeichnet. Am nächsten Tag wollen sie mit dem Plakat vor das Hamburger Rathaus ziehen und es symbolisch an Wohnungssuchende versteigern. Für den kommenden Mittwoch haben sie auch eine Nachttanzdemo geplant, Motto: „Raven gegen Wohnungsnot!“
Auch Allemeyer vom Studierendenwerk hat ein Botschaft. Eben hat er mit einem Fernsehteam die Turnhalle eines Wohnheims am Berliner Tor durchschritten. Dort sind Feldbetten mit grauen Laken bezogen worden. Vier Studenten haben in diesem Jahr hier übernachtet. Die Last-Minute-Zimmer des Wohnheims sind ständig ausgebucht, genau wie die regulären 3.700 Wohnheimplätze in der Stadt. Die kosten 233 Euro – weit weniger als üblich in Hamburg.
Auf dem freien Wohnungsmarkt hätten besonders diejenigen das Nachsehen, deren Eltern nicht für sie bürgen können, sagt Allemeyer. „Hamburg sollte ein Ort für Studenten sein, die nicht so viel Geld mitbringen.“ Der Bund solle den Bau von bezahlbarem Wohnraum für Studenten bezuschussen, fordert er.
Bürgschaften verlangt das Studierendenwerk nicht für seine Zimmer. Doch die 201 Plätze im neu gebauten Wohnheim in Hammerbrook werden nun auch jeweils rund 350 Euro kosten. „Das wäre doch etwas für Sie“, sagt Allemeyer zum Last-Minute-Mieter Michael. „Das wird doch erst im Januar eröffnet“, sagt der. „Mitte Dezember“, korrigiert Allemeyer. Dann zieht er ein Bündel orange bedruckter Zettel aus der Jackettasche: „Damit können Sie bei uns Kaffee trinken.“ Michael strahlt.
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