piwik no script img

Wohnen im ObdachlosenheimEin Seebär zwischen Gold und Glitzer

Das "schönste Obdachlosenheim der Welt" in Schöneweide ist fertig. Klaus Köppen, der seit sechs Jahren dort lebt, gefällt die schicke Einrichtung des Hauses. Trotzdem bezweifelt er, dass Kronleuchter sein Lebensgefühl verbessern.

130.000 Euro Spenden hat die Konzeptkünstlerin Miriam Kilali dafür gesammelt und aus dem ehemals zusammengewürfelt ausgestatteten Heim ein Wohnhaus im Luxusstil gemacht Bild: DPA

Zwischen den roten Ledersofas und glitzernden Kronleuchtern sieht Klaus Köppen fast ein bisschen verloren aus. Er sitzt im Gemeinschaftswohnzimmer im Erdgeschoss. "Ganz wat Neues, das Grünzeug da", sagt er und befühlt die frischen Schnittblumen auf dem Couchtisch. Dann grinst er. "Ick fühl mir sauwohl hier."

Hier, das ist im Haus Schöneweide an der Michael-Brückner-Straße 3. Das Wohnheim für Obdachlose hat am Mittwoch nach fast zweijähriger Renovierung die Einweihung des Projekts "Reichtum 2 - das schönste Obdachlosenheim der Welt" gefeiert. 130.000 Euro Spenden hat die Konzeptkünstlerin Miriam Kilali dafür gesammelt und aus dem ehemals zusammengewürfelt ausgestatteten Heim ein Wohnhaus im Luxusstil gemacht. Mit Stuck, goldenen Tapeten und Kronleuchtern will Kilali ehemals Obdachlose am Reichtum des Lebens teilhaben lassen - und jene provozieren, die solche Projekte für soziale Hängematten halten.

Eigentlich sollte Klaus Köppen als einer der ersten Bewohner des Hauses Schöneweide von dem Projekt und dessen Bedeutung für die Bewohner erzählen. Aber irgendwie scheint das für ihn gar nicht so wichtig zu sein. In das rote Sofa zurückgelehnt, erzählt er lieber von seinem Leben vor dem Wohnheim. "Ick war - janz damals ma - verheiratet", beginnt er und lacht ein verlegen-kehliges Lachen. Seine Frau hatte einen Blumenladen, er war erst Einzelhandelskaufmann, dann Stuckateur. "Irgendwann hat mein Arbeitskollege mir meine Frau ausjespannt, und daraufhin hab ick jesagt: Schnauze voll. Ick fahr zur See."

Köppens Gesicht ist zerfurcht, ein wenig windschief. Es fällt nicht schwer, ihn sich als Seemann vorzustellen. An seinem linken Ohr baumelt ein selbst gebastelter Ohrring bis auf die Schulter. Fehlt nur der Degen, und Klaus Köppen wäre der perfekte Pirat. Als Seemann hat er viel von der Welt gesehen. "Über Dänemark, Schweden, Norwegen, dann Richtung Frankreich und Spanien sind wir auf dem Küstenmotorschiff gefahren. So hat das alles angefangen."

Was genau angefangen hat, sagt der alte Seebär nicht. Irgendwann ist er jedenfalls schiffbrüchig geworden. Und wieder in seine Heimat Berlin zurückgekommen. Da ist er dann von Wohnheim zu Wohnheim getingelt, "mit drei, vier Leuten in Stockbetten". Vor sechs Jahren ist er im Haus Schöneweide angekommen, dem "schönsten Sozialhotel" für wohnungslose, alkoholkranke Männer.

Der Glitzer soll, laut dem Konzept der Künstlerin Kilali, den Wohnungslosen wieder Mut machen und die Schicksalsschläge des Lebens lindern. Wenn Klaus Küppen von dieser Idee hört, muss er lachen. "Ick mag et hier, aber das Lebensgefühl hat sich durch die Renovierung nicht groß verbessert." Was Einfacheres hätte es auch getan, findet er, aber das mache natürlich Eindruck. "Die Diamanten hier", sagt er und zeigt hoch zu einem der blinkenden Kronleuchter, "dat is ja alles bloß Tarnung - darunter schmeckt det Essen ooch nicht besser." Dann überlegt er kurz. "Aber wenn de abends nach Hause kommst, fühlste dich schon gut, wenn die Klunker hier durchs Fenster scheinen." Dass die neue Wohnqualität zu einer veränderten Haltung der Bewohner zu ihrem Umfeld führt, kann er sich trotzdem nicht vorstellen. Die meisten interessiere nur, dass sie überhaupt ein Dach über dem Kopf hätten.

Als er dann zur Hausführung aufsteht, gerät er aber doch in Begeisterung. Jede Schranktür in der Küche, jede Schublade öffnet er und erklärt stolz alle Einzelheiten. "Guck ma, das ist unser neues Geschirr und da drüben der Schrank für die Fressalien." Auch Besenkammer und Badezimmer werden präsentiert. Über einen roten Teppich steigt der 66-Jährige die Treppen hoch zu den einzelnen Räumen. Die Künstlerin Kilali hat jeden der 22 Bewohner in die Zimmerrenovierung einbezogen. "Für mein Zimmer hatte ich mir ein zartes Blau gewünscht", sagt Köppen. "Frau Kilani nimmt unsere Situation hier wahr und schafft es, das irgendwie weiter nach außen hin zu leiten."

Bilder "anbammeln"

Nach der perfekt abgestimmten Einrichtung in Flur und Gemeinschaftsbereich ist in Köppens Zimmer dann aber doch der Unterschied zwischen Wohnheim und Luxushotel zu spüren. Das zarte Blau der Tapete ist von einem rustikalen Holzbett und einem etwas wackeligen Regal verdeckt. Kippenstummel liegen auf dem kleinen Tisch. Aus dem Regal zieht Köppen seine Bettlektüre "Der perfekte Heimwerker": "Ick helf hier Bilder anbammeln und so." Eines der Bilder an der Wand zeigt ein Fischerboot. "Das passt gut zu mir", findet Küppen. Daneben hängt eine kleine Piratenflagge. Die passt sogar noch besser.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!