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■ Wohnen auf italienisch heißt vor allem Gestalten, UmgestaltenPersönliche Note

Italiens Architekten gelten in aller Welt als Spitze, heimsen noble Aufträge ein, dürfen sich in Deutschland und in den USA, in Spanien und sogar im ganz und gar nicht italophilen Frankreich betätigen. Sie kreieren Stile und schaffen Schulen. Nur zu Hause gelten sie nichts. Kaum eine Stadt, die sich jemals durch einen Architekten prägen ließ. Einzelne Bauwerke ließ man zu, und man zeigt sie heute noch gerne her — vom Hofbaumeister des Kaisers Augustus, Agrippina, bis zu Michelangelo. Doch die meisten wurden immer wieder umgebaut und neu gestaltet, bis man sie wieder im alten Stil herstellte — und erneut umbaute.

Das alles hat seinen guten Grund. Für Italiener bedeutet Wohnen auf keinen Fall ein Sichanpassen an die Denkschemata des Architekten. Im Gegenteil, so lautet die architektonische Philosophie: Alles, was der Meister aus Stein oder Beton oder Glas geschaffen hat, muß so schnell wie möglich umgestaltet werden, damit eine persönliche Note hineinkommt. Dutzende von angeblich detailliert durchdachten Vorstädten oder Neustadtvierteln verwandelten sich innerhalb weniger Jahre in kaum wiederzuerkennende Schaufenster des Individualismus.

Die schön nach Südwesten ausgerichteten Balkone sind spätestens nach zwei Monaten zugeglast oder gar ummauert, um ein Zimmer zu gewinnen, oder mit ein paar furchteinflößenden Balken erweitert, so daß man ein paar Sonnenstrahlen mehr bekommt. Die geklinkerte Außenwand, die der Zeile behagliche Wärme gibt, verschwindet unter angebauten Hüttchen oder Außentreppchen. Auf dem Dach erscheinen über einem Appartement Zinnen, über dem anderen Skulpturen, und der dritte setzt beschwungene Brüstungen darauf. Innen wird sowieso alle halbe Jahre umgebaut: Eine Wand kommt zwei Meter nach rechts, die andere sechzig Zentimeter nach links und leicht gedreht, die Tür wird zum Bogen erweitert.

Wohnen auf italienisch heißt vor allem Gestalten, Umgestalten. Danach paßt dann zwar nichts mehr zusammen, aber das macht nichts. Sind die Stilbrüche allzu störend, kann man ja wieder umbauen.

Ob ich als Architekt darüber traurig bin? Nein. Schwierig ist es nur am Anfang, weil man soviel Theorie gepumpt hat und glaubt, irgendwann einmal die Lösung für schönstes Wohnen und Arbeiten gefunden zu haben. Wenn einem der Baumeister oder der Bauherr den Plan während des Bauens zum achtenmal ändert, resigniert man zuerst. Doch dann denkt man nach und erkennt: Als Auftraggeber hätte ich es genauso gemacht. Denn Bauen heißt vor allem Entstehenlassen von Wohnen und Arbeiten, und nicht nur Erstellen von Wohn- und Arbeitsgelegenheiten. Carmine Di Capua

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