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"Wohlgesinnten"-Autor LittellSchillernde Selbstinszenierung

Jonathan Littell, Autor von "Die Wohlgesinnten", hat eine Schrift zur Struktur der faschistischen Sprache verfasst. Darin finden sich mehr Fragen als Antworten.

Wirft neuen Diskussionsstoff auf den Markt: Autor Littell. Bild: reuters

"Mit verknoteten Gedärmen blieb ich lange auf dem Klo sitzen, zuckte beim leisesten Geräusch zusammen, aus Furcht, entdeckt zu werden. Ich schwitzte, überall war Scheiße. […] So viel Schmutz erstickte mich, gleichzeitig verlangte mich nach mehr, wie wahnsinnig wünschte ich, darin unterzugehen."

Man könnte meinen, dies sei ein Zitat aus Jonathan Littells Nazi-Roman "Die Wohlgesinnten", der letztes Jahr bei der deutschen Kritik durchfiel. Sorgte er doch nicht zuletzt wegen der pornografisch geschilderten Begierden seines Protagonisten Max Aue, eines homosexuellen Massenmörders, für Verstörung. Die hier wiedergegebene monumentale Analfixierung entstammt jedoch einem der feuchten Albträume Littells, die nun unter dem Titel "Ein Sonntag im Sommer" bei Matthes & Seitz erschienen sind, in einem Band mit vier früher entstandenen Geschichten. Der Erzähler der zitierten Story hat gerade eine exzessive Nacht mit einem schwarzen Strichjungen hinter sich, und dass sein eigener Körper danach regelrecht ausläuft, bereitet ihm offenbar nicht nur Angst, sondern auch Lust.

Während Littell an den "Wohlgesinnten" schrieb, verfasste er auch noch eine kleine Studie mit dem Titel "Das Trockene und das Feuchte. Ein kurzer Einfall in faschistisches Gelände", die jetzt im Berlin Verlag erschienen ist. Claude Lévi-Strauss legendäre Schrift "Das Rohe und das Gekochte" (1964) klingt darin an. Doch vor allem standen Klaus Theweleits "Männerphantasien" (1977/78) Pate für das Buch, jene legendäre Bestseller-Dissertation über das Wesen des "soldatischen Mannes" und des Faschismus als Realität setzendes Gefühl - als Ausdruck einer regelrechten Wunschproduktion.

Littell analysiert in seiner Arbeit die bizarre Biografie des belgischen Faschisten Léon Degrelle - genauer: dessen autobiografische Schrift "La campagne en Russie" (1949), in der der Kommandeur der belgischen SS-Legion "Wallonie" seine Erlebnisse während des nationalsozialistischen Russlandfeldzuges verherrlicht.

Mit Hilfe von Theweleits Theorie kommt Littell zu dem Schluss, trotz vieler frappierender Anhaltspunkte in diesem lupenreinen faschistischen Text voller gigantischer Phallusfantasien sei der Rassist Degrelle alles Mögliche, aber nicht homosexuell gewesen. Deshalb müsse man fast bedauern, "dass sich Degrelle dieser Lust nie hingegeben hat: Vielleicht hat ihm genau das gefehlt, um ein Mensch zu werden - ein Schwanz im Arsch."

Dass Theweleit höchstselbst für diesen Band ein größtenteils zustimmendes Nachwort geschrieben hat, kann angesichts solcher Formulierungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Littells doch etwas hochtrabend daherkommende Degrelle-Exegese eher weniger mit Wissenschaft zu tun hat. Vielmehr handelt es sich um eine weitere Fortschreibung eines Motivkomplexes, dessen bisheriges voluminöses Zentrum Littells Roman "Die Wohlgesinnten" ist.

Dass der Autor auch in "Das Trockene und das Feuchte" über eigene Phantasmen schreibt, wird vor allem dann schnell klar, wenn man einen weiteren seiner bisherigen Texte daneben hält. Auch die Kriegsreportage, die der Berlin Verlag im Herbst 2008 als "Georgisches Reisetagebuch" herausgebracht hat, handelt in gewisser Weise davon. Nicht nur das Bild einer in der kontinentalen Sommerhitze schnell pechschwarz werdenden, verwesenden Leiche, aus der eklige Maden kriechen, begegnet einem hier wieder, nachdem man ihre genüssliche Beschreibung schon einmal als Zitate des Faschisten Degrelle in "Das Trockene und das Feuchte" analysiert gefunden hat. Hier allerdings ist es plötzlich eine Beobachtung des souverän und abgeklärt sich gebenden "Reporters" Littell selbst: Seinen Besuch in der georgisch-russischen Konfliktzone des Jahres 2008, bei dem er wie selbstverständlich mit den wichtigsten politischen Akteuren Georgiens beim Wein plaudert oder auch zwielichtige russische Militärkommandeure trifft, schildert Littell mit einer ähnlich betonten Coolness wie der nationalsozialistische Ich-Erzähler in "Die Wohlgesinnten".

Diese komplexe und in ihrer wechselnden Perspektivik mittlerweile ziemlich schillernde Selbstinszenierung Littells ändert aber nichts daran, dass vor allem "Das Trockene und das Feuchte" abermals Fragen stellt, die zuerst Theweleit aufgeworfen hat und die seither noch lange nicht schlüssig beantwortet sind: Wieso ist die in Polaritäten wie das "weiblich" konnotierte und für den "soldatischen Mann" bedrohliche "Feuchte" und das positive "männliche" "Trockene" gespaltene Vorstellungswelt faschistischer Kämpfer ein offenbar so universales Phänomen?

Auch wenn Littells Text wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, so wundert man sich nach seiner Lektüre doch, warum es dem Autor darin so spielend leicht gelingt, Theweleits Erkenntnisse über die Gefühlswelt deutscher faschistischer Männer der 1920er-Jahre auf die Zeugnisse eines belgischen Militaristen anzuwenden, der in ganz anderen Verhältnissen aufwuchs.

Vor allem aber fragt sich, wie Theweleits Nachwort und Littells darauf folgendes "Postscriptum" einzuschätzen sind: Handelt es sich, wie hier diskutiert wird, möglicherweise um eine "universelle Struktur" körperlichen Empfindens, die männliche Gewalttäter, lachende Folterer und Massenmörder in aller Welt und zu allen Zeiten bestimmt hat und weiter antreibt? Kurz: Hat etwa auch Abu Ghraib etwas mit dieser faschistischen "Psychophysik" zu tun, genauso wie die Märtyrer-Phantasmen islamistischer Selbstmordattentäter?

"Ich bin mir dessen nicht sicher", schreibt Littell am Ende seiner Studie. Diese Unsicherheit einzuräumen, ist klug. Denn die Antworten auf diese Fragen werden, wenn überhaupt, wohl andere geben als der manchmal doch etwas anmaßend wirkende Poeta doctus Littell. Diskussionsstoff bietet sein Buch aber allemal.

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