: Woher ich komme, wohin ich gehe
Beim Kölner Literaturfestival lit.Cologne kann eine Lesung zur Predigt werden und in einer Ehrenfelder Seitenstraße zeigt Literatur ihren avantgardistischen Charakter
Wer schon lange nicht mehr in der Kirche war, könnte es vielleicht vergessen haben: Die Sitzbänke sind nicht dazu da, um es sich bequem zu machen. Selbst am zweiten Abend des Kölner Literaturfestivals lit.Cologne lassen sie sich nicht mal eben rausschrauben und durch gemütliche Ledersofas ersetzen. Die Lutherkirche, seit über einem Jahr auch als „Kulturkirche Köln“ bekannt, ist ansonsten aber ein richtig schnuckeliges Bauwerk in einer richtig schnuckeligen Gegend von Nippes.
Viele der anwesenden Zuschauer waren deshalb am Donnerstag nur in zweiter Linie wegen Alexa Hennig von Lange gekommen. Nicht dass von Lange keine Zielgruppe besäße: junge Frauen, junge Frauen in Begleitung ihrer Mütter und junge Frauen in Begleitung ihrer Schulklasse. Ganz klar, Alexa ist das, was man gemeinhin als Role-Model bezeichnet. Ein prima Foto-Model würde sie mit ihrer roten Wuschelmähne und ihrer engelhaften Erscheinung obendrein abgeben, was natürlich irgendwie ins Konzept passt. Fürs Publikum gibt es das hübsche Antlitz der Autorin jedenfalls in XXL auf Leinwand gebeamt.
Das Wort Gottes verkündet von Lange heute nicht, aus dem Titel ihres neuen Buches ließe sich aber bestimmt eine gute Predigt stricken: „Woher ich komme“ heißt das Werk, es erzählt ein Familiendrama aus der Perspektive einer jungen Frau, die als Kind Mutter und Bruder verloren hat. Von Lange liest in einem leicht weinerlichen, gleichförmigen Tonfall, womit wir wieder bei der Predigt wären. Diese Sitzbänke! Bald schon macht sich das eingeschlafene Hinterteil bemerkbar, zum Glück ist Alexa aber eine echte Pop-Literatin („Das Spice-Girl der deutschen Literatur“), und wie jede Popband, die was auf sich hält, beendet auch sie ihr Set nach knackigen 40 Minuten.
Dann nichts wie rauf aufs Rad nach Ehrenfeld. Das Theaterhaus hält sich in einer kleinen Seitenstraße versteckt. Die Suche in der Dunkelheit gestaltet sich als ein ganz schön unheimliches Unterfangen. Dort trifft dann leider nicht wie angekündigt Chet Baker auf Suzie Quatro – Liza Cody und Bill Moody sind aber auch ziemlich cool. Bei beiden handelt es sich um musikversessene Krimiautoren, die eine Engländerin, der andere Amerikaner. Unterstützt werden sie von den Schauspielern Anja Herden und Markus Scheumann, die einige Textpassagen in der deutschen Übersetzung lesen. Das Publikum könnte man fast schon als szenig bezeichnen. Typen in braunen Cord-Anzügen, Mädels in roten Lackschuhen. Hier im Theaterhaus versprüht Literatur noch einen ansatzweise avantgardistischen Charme, das Mega-Event lit.Cologne ist in Ehrenfeld jedenfalls in weiter Ferne.
Oliver Minck