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Wöchentlich vor Gericht

Die MitarbeiterInnen der algerischen Tageszeitung Le Matin setzen sich gegen Erscheinungs-Verbote und Todesdrohungen durch.

Ein harter Kampf ging der Gründung der algerischen Tageszeitung Le Matin im September 1991 voraus. Während des ganzen Sommers stritt ein Journalistenkollektiv für Unabhängigkeit von jeglicher Bevormundung, sei es Einflußnahme über Geld, durch politische Kräfte oder staatliche Macht. Ein Konflikt mit der Leitung des Alger républicain prägte die Gründungsphase: Im November 1990 hatten die Journalisten die heruntergekommene Tageszeitung zu einem der führenden Blätter gemacht, mußten dann aber im Mai 1991 gehen.

Das Team von Le Matin war entschlossen, den Preis für seine Unabhängigkeit zu bezahlen. Das Geld zur Herausgabe der Zeitung kam aus den Taschen der etwa vierzig Journalisten und Techniker; so gehörte Le Matin von Anfang an ausschließlich seinen Mitarbeitern. Eine Nullnummer erschien am 11. September, die erste reguläre Ausgabe am 19. September 1991. Die einzige ebenso symbolische wie finanzielle Hilfe kam aus den zahlreichen „Unterstützer-Abonnements“. Schnell fand Le Matin einen herausragenden Platz in der unabhängigen Presselandschaft.

Von schwierigen Bedingungen, die in Algerien seit einigen Jahren herrschen, hat Le Matin – wie andere Zeitungen – auch die staatliche Definition der Pressefreiheit kennengelernt. Im Juli 1992 wurde der Chefredakteur polizeilich vorgeladen und für 48 Stunden inhaftiert – er hatte Informationen zur öffentlichen Sicherheit publiziert, die von den Behörden bestritten wurden.

Die schlimmste Erfahrung für die Mitarbeiter waren Beschlagnahmung und Erscheinungsverbot vom 9. August 1992, zwei Wochen nach Antritt der neuen Regierung, bis zum 7. Oktober 1992. Als Vorwand diente die Veröffentlichung wirtschaftlich relevanter Fakten, die aus einer italienischen Zeitung stammten. Ungeachtet dieser Schikane bleibt das Kollektiv weiterhin seiner erklärten „Pflicht zur Wahrheit“ treu, die auf der Titelseite als Prinzip festgeschrieben ist. Für ein zweites während der Regierungszeit Abdesselams erlassenes Verbot von Le Matin im Juli 1993 wurden dubiose wirtschaftliche Vorwände vorgebracht.

Verbote sind nicht die einzigen Attacken auf Le Matin. Seine Mitarbeiter wurden – wie die Journalisten anderer Blätter – unter Abdesselam einmal wöchentlich vor Gericht gezerrt. Außerdem hat Le Matin seit Erscheinungsbeginn regelmäßig „Warnungen“ von fundamentalistischen Aktivisten erhalten. Schriftliche und telefonische Einschüchterungen und Morddrohungen galten gezielt dem antifundamentalistischen Engagement der Zeitung.

Nach der Ermordung des Journalisten und Schriftstellers Tahar Djaout wurden diese Todesdrohungen sehr ernst genommen. Mehrere Mitarbeiter von Le Matin haben den Weg ins Exil genommen; wer blieb, war oft gezwungen, halb im Untergrund zu leben, und mußte seinen Wohnort ebenso wie alltägliche Gewohnheiten aufgeben, um den fundamentalistischen Mördern zu entgehen. Kritische Artikel erscheinen nur unter Pseudonym.

Vom Aderlaß, den die Medien Algeriens unter ihren Beschäftigten erlitten, blieb auch Le Matin nicht verschont. Drei Journalisten hat die Zeitung verloren: den Direktor Saäd Mekbel, den Chef der Redaktion für Internationales, Ameur Ouagueni, und den Verantwortlichen des Büros in Tizi-Ouzou, Saäd Tazrout.

Zweimal innerhalb von wenigen Tagen haben Terroristen versucht, das Büro von Le Matin in Hussein-Dey zu zerstören – in einem Moment, als alle Journalisten dort versammelt waren. Die Autobomben konnten glücklicherweise rechtzeitig entschärft werden. Die bedrohliche Lage hat Le Matin im vergangenen November gezwungen, sich dem Pressehaus Tahar Djaout anzuschließen.

Am 11. Februar 1996 ist in der Nähe des Pressehauses eine Autobombe explodiert und hat etwa zwanzig Personen getötet, davon drei Journalisten des Soir d'Algérie. Wegen der Schäden im Büro von Le Matin mußte das Erscheinen für mehrere Tage unterbrochen werden. Trotz der Drohungen, Morde, Sprengstoffattentate und der Flucht: In der Redaktion von Le Matin arbeitet weiterhin ein Team von Journalisten – zwar kleiner geworden, aber entschlossen, seinen Beitrag zum Entstehen einer modernen rechtsstaatlichen Gesellschaft zu leisten.

Abdelouhab Djakoune

Der Autor ist Chefredakteur bei Le Matin in Algier.

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