Wochenendhaus mit Freunden: Ein Nest, das auch die Pest sein kann
Wer mit dem Freundeskreis eine Datsche teilt, braucht Toleranz und eine starke Blase. Was suchen Städter im Grünen? Eine teilnehmende Beobachtung.
Was nach meiner Auffassung keiner weiteren Begründung bedarf: Ein Haus am See zu haben als Wochenendzuflucht im Grünen, ist eine feine Sache. Auch der überzeugteste Großstädter braucht, besonders wenn er mitten in der rush hour of life mit Job und Familie steht, dringend mal etwas Erholung im Grünen. Die von Berliner Medien in letzter Zeit häufiger mal aufgeworfene, unüberhörbar genervte Frage, warum sich neuerdings alle Welt ein Wochenendhaus in der Uckermark zulegen müsse, klingt für mich deshalb nach dem Typus Kommentator, der heimlich selber gern würde. Berechtigter ist eine andere Frage. Eine, die mir des Öfteren gestellt wird: Wie kannst du dir das mit so vielen Leuten geben?!
Vor fünf Jahren habe ich mich samt Frau und zwei Kindern in das letzte Abenteuer des Großstadtmenschen gestürzt und zusammen mit 12 anderen – Singles, Pärchen, Familien, unserem halben Freundeskreis – ein 6.500 Quadratmeter großes Grundstück am See gekauft. Mit einem renovierungsbedürftigen Wohnhaus und einer vom Einsturz bedrohten Feldsteinscheune als integriertem Gruppenkonfliktbeschleuniger. Dort verbringen wir seither viele unserer Wochenenden. Die Zimmer werden jedes Mal neu verteilt. First come, first serve.
So ab Mittwochnachmittag melden sich die ersten Teilzeitkommunarden per E-Mail: Wir fahren raus, wer kommt mit? Wer kauft ein? Wir würden gern noch zwei Besucher mitbringen. Geht das in Ordnung? Keiner beansprucht das Haus für sich allein. Es ist von allen so gewollt, dass wir uns dort draußen begegnen. Ob der Clash in so einer Sommerhausgroßkommune denn nicht programmiert sei, war daher auch so eine häufig gestellte Frage. Hier die ehrliche Antwort: Ja, wahrscheinlich ist er programmiert. Und er ließ nicht lange auf sich warten.
Der Mann: 38, studierte Publizistik, Psychologie und Politologie in Münster, Berlin und London. Nach einigen Jahren als Werbetexter arbeitet er seit 2005 als freier Journalist. Sein Schreibtisch steht im Verlag des Gesellschaftsmagazins Dummy, für das er regelmäßig als Autor und Redakteur arbeitet, genau wie für die Jugendzeitschrift Fluter der Bundeszentrale für politische Bildung.
Das Buch: Im gerade erschienenen „Sommerhaus jetzt! 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen. Ein Überlebensbericht“ (Blanvalet, 12,99 Euro) verarbeitet er seine eigenen Erfahrungen mit einem Wochenendsitz im Berliner Umland.
Gleich in der Nacht der Einweihungsfeier platzte zwischen Haus und Sickergrube das Abwasserrohr. Der ganze Garten musste in wochenlanger Arbeit aufgebuddelt und neue Rohre verlegt werden. Von sehr vielen, sehr linken Händen, die im richtigen Arbeitsleben auf Tastaturen herumklimpern. So erfuhr unsere Vision vom Wochenend-Landkommunenleben Erstkontakt mit der Realität. Als das überstanden war, wurde es nicht besser. Einige Mitbewohner pinselten als „eigenverantwortliche Arbeitsgruppe Hausanstrich“ die graue Fassade des Hauses Schweinchenrosa an, andere flippten aus. Für die Konsequenz ist der Ausdruck „Geschmacksdiskussionen“ eine Nummer zu klein. Eine Kommunardin verabschiedete sich wortlos mit einer knallenden Hoftür und quietschenden Reifen. Nicht viel mehr als anderthalb Stunden später (die Fahrtzeit nach Berlin) folgte per E-Mail eine Ausstiegsankündigung. Wir konnten sie gerade noch so umstimmen.
Verärgert abgereist
Hatte Sartre auch eine Sommerhauskommune, dass er auf den Satz „Die Hölle, das sind die anderen“ gekommen ist? Ist auch sein Haus von den anderen angepinselt worden? Sind auch seine Neuanpflanzungen ständig achtlos von den anderen weggemäht worden? Hat auch er spät abends, wenn ihm mal wieder das letzte Kopfkissen weggeschnappt worden war, allen Ernstes überlegt, sich ein übrig gebliebenes Fladenbrot in einen Kissenbezug zu stopfen? Verfluchen möchte man die anderen bisweilen auch, wenn sie die Oberbetten aus Faulheit fünflagig übereinander mit ihrem alten Bettzeug beziehen. Und wenn sie immer, immer, immer das Bad besetzen, just in dem Moment, wenn man, von Harndrang geplagt, wach wird.
Und dann sind die anderen auch wieder der Himmel. In Fußballmannschaftstärke frühstücken und sich bis in den Nachmittag hinein die Bälle quer über die lange Tafel zuspielen. In derselben Konstellation nach einem Tag des kontemplativen Herumgärtnerns wieder zusammenkommen, um auf der Seeterrasse bei Sonnenuntergang den Grill anzuschmeißen. Zusammen vom Steg ins Wasser springen und gleich danach ein Bierchen zischen. Bis spätnachts am Lagerfeuer hocken und in die Glut glotzen. Dabei Nonsens reden. Die Meditationstechnik unserer Landhauskommune.
Ein Sommerhaus mit so vielen Menschen zu bewohnen, ist ein bisschen schön und ein bisschen schrecklich. Schön ist: Man praktiziert Luxuserschleichung durch Gemeinschaftsfinanzierung. Man versauert als Mensch um die Mitte dreißig nicht in der sozialen Kleinstzelle „Familie“, sondern trifft seine Freunde fast wieder in derselben Frequenz wie zu Studentenzeiten. Ganz automatisch jedes Wochenende, nur eben nicht mehr im Clubbetrieb der Stadt, sondern auf der eigenen Terrasse mit Seeblick. Andererseits legt das soziale Experiment, es gemeinsam mit seinen besten Freunden mit 6.500 Quadratmetern Herausforderungen aufzunehmen, die Schrullen jedes einzelnen Teilnehmers mit der Zeit restlos offen.
Wo Gruppendynamik, da Reibung, wo Reibung, da Reibungsverluste. Mit der Zeit entwickelt sich die soziale Versuchsaufstellung zu einem parafamiliären Gebilde. Darum ist es im Landhaus manchmal so ähnlich wie bei einem Familientreffen: Für diese Zeit geht es mal nicht um die Ausweitung seiner privaten Komfortzone. Um in den Genuss einer solchen Großgemeinschaft mit Seezugang zu kommen, muss man den Begriff Toleranz an zwei Tagen pro Woche neu für sich kalibrieren. Hat es das wahre Glück so an sich, dass es auch ein bisschen wehtut? Ich jedenfalls muss unser Hausprojekt immer mit dem Elternsein vergleichen: Die eigenen Kinder können wahnsinnig nerven, aber undenkbar, noch einmal ohne sie zu leben.
Wir sind ja nicht die Einzigen. Warum tun sich das heute so viele urbane Menschen um die vierzig an? Es stimmt ja, alle Welt schafft sich ein Haus in der Uckermark an. Ebenso viele scheinen sich auch in städtischen Baugruppen zu verwirklichen, nicht wenige auch zu verzetteln. Was ist da los? Die Ideologie der alten Kommunarden kann es nicht mehr sein, was das seltsame Verhalten der Großstädter befördert. Für unsere Landkommune zumindest gilt, dass es da keine Bestrebungen gibt, das Eigentum abschaffen zu wollen – nicht jetzt, wo wir gerade dieses Filetstück von einem Grundstück ergattert haben. Dass Kopfarbeiter irgendwann mal wieder etwas mit ihren Händen schaffen wollen, trifft zu, aber ist ja auch kein ganz neues Phänomen. Neu erscheint mir die Entgeisterung, mit der Außenstehende auf so ein Projekt reagieren: Wie kann man sich das antun? Haben das in den Siebzigern, der Hochzeit der Kommunenbildung, eigentlich auch ständig alle gefragt?
Verwurzelt angekommen
Offenkundig gibt es da heute ein gewisses Interesse, sich mal wieder etwas zuzumuten. An dieser Stelle könnte man nun leicht in Kulturpessimismus verfallen. Nach dieser Lesart ginge es den neuen Kommunarden in Baugruppen und Sommerhäusern darum, gegenläufig zum Zeitgeist mal wieder das Wagnis der Verwurzelung an einem Ort einzugehen – und jenes der langfristigen Bindung an andere obendrein. Auf die Probe zu stellen, wer echter Freund und nicht bloß Follower ist. Vielleicht ist es aber viel einfacher und es reizt wieder das alte Modell der Großfamilie, nur eben in seiner modernen, von Konvention und Restriktion befreiten Form. Die pure Nestwärme.
Neulich tauchte am Lagerfeuer mal die Frage auf, wie und ob man eigentlich aus unserem Projekt wieder aussteigen könne – und wer das überhaupt mal alles erben soll. Nicht weil irgendjemand wirklich aussteigen wollte – die ganz großen Konflikte sind erst einmal überstanden. Nach vielen Arbeitsstunden bietet unser Grundstück echten Urlaubswert und das Kommunenleben hat sich eingespielt. Oft ist es wie ein Lustspiel, bei dem die Rollen von Gutsherr über Handwerker bis Hofnarr klar verteilt sind. Der Mitbewohner fragte nur so aus Interesse nach den Ausstiegsmodalitäten. Es kam heraus, dass es nicht so ganz leicht ist, aus der Nummer wieder rauszukommen. Man muss schon einen Kommunarden finden, der einem freiwillig die eigenen Immobilien-GbR-Anteile abkauft. Und erben werden die Kinder desjenigen, der am längsten lebt. Das Ende hat also das Zeug zum Edgar-Wallace-Plot: Ein Rentner versucht den anderen im Schlaf zu meucheln. Die Altersforschung sagt, dass es Menschen lange jung und fit hält, wenn das Leben reich an Herausforderungen und Überraschungen bleibt.
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