: Wo bin ich?
betr.: „Weg vom Blockadeimage“ (Die Steuerschätzung geht hoch, die Steuersätze müssen runter), Kommentar von Christian Füller, taz vom 6./7. 11. 99
Wo bin ich? Was halte ich da in meinen Händen? Oder haben wir schon nächste Woche? Das mit der unkritischen Haltung war doch erst für die nächste Woche geplant, oder? Ich hatte dies schon befürchtet, dass ich das mal feststellen werde, aber jetzt noch nicht.
[...] „Die finanzielle Befreiung des Bürgertums.“ Was soll denn das bitte bedeuten? Man kann ja gleich „Freie Fahrt für freie Bürger“ schreiben. [...] Inhaltsleerer geht es doch nicht mehr. Genauso wie in den Schlusssätzen: „Sinkende Steuern erfreuen das Volk, kurbeln die Wirtschaft an – und (...) schaffen Arbeitsplätze“ Danke, Herr Westerwelle, dass Sie jetzt auch in der taz schreiben, Respekt.
Gibt der Staat nicht seine Funktion auf, wenn er ständig die Steuern senkt? Gibt er nicht seine Mittel aus der Hand? Entscheidend für eine Volkswirtschaft ist doch, was produziert und konsumiert wird. „Kurbelt die Wirtschaft an!“ Ja, welche denn? Schaut man auf die Konsumneigungen des „befreiten Bürgertums“, erschrickt man doch! Und die Auswirkungen der derzeitigen Dominanz des ökonomischen Prinzips. Was tut sich denn auf dem liberalisierten Strommarkt? Wer wird stark? Die Gelben. Die Bayern. Und wo bleiben die Grünen? Ist es nicht so, dass Umweltpolitik nicht nur von Jürgen Trittin gemacht werden muss, sondern von allen anderen Ressorts auch? Hätte Hans Eichel jetzt nicht die Möglichkeit für eine wirkliche politische Aussage? Mehr als das Sparen zum Selbstzweck? Könnte man nicht hergehen und die nicht eingeplanten zehn Milliarden für eine Förderung der regenerativen Energiegewinnung ausgeben? Oder im ÖPNV investieren? Oder andere ökologische Bereiche verstärkt subventionieren? Das wäre eine Aussage. Das würde Arbeitsplätze schaffen, und zwar in Bereichen, die weniger negative externe Effekte haben. Die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens würde betont werden. Und das halte ich für notwendig. Und ich halte es auch für notwendig, dass die taz so etwas schreibt. Und nicht diese Worthülsen der Metzgers und Scheels und Westerwelles. Oder ist doch schon nächste Woche?
Marc Gronwald, Bad Salzuflen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen