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Wo Strindberg „Toddy“ trank

■ Ein Buch des Klaus Boer Verlags erinnert an den Friedrichshagener Dichter- und Trinkerkreis des Fin de siècle

Lebensreformerische Ziele bei bohèmehafter Lebensführung – so könnte man den Kreis von Literaten und Intellektuellen kurz charakterisieren, der sich um 1890 in Friedrichshagen ansiedelte. Einer „lebhaften Seidenraupenzucht“ sollte laut Kabinettsorder Friedrich II. dieser Ort dienen und wurde zu diesem Behufe 1753 gegründet. Später avancierte er zur Besenbinderstadt und zum Sommerfrischeort.

„Natureinsamkeit bei brausender Großstadt“ suchte man hier um die Jahrhundertwende, ein Vorläufer der Gartenstadtprojekte à la Hellerau bei Dresden. Doch unter ein gemeinsames Programm lassen sich diese Literatensiedler nicht einpassen: Der Jugendstilkünstler Fidus lebte hier im Reformkleid gewandet, August Strindberg mixte seinen „Toddy“, ein Kognakgetränk mit sehr wenig Wasser aufgegossen, und versuchte unter anderem zu beweisen, daß die Erde keinesfalls rund sei. Peter Hille nahm hier ab und an Station auf dem Sofa der Kritikerbrüder Hart.

Sieht man von den meist stark alkoholgetränkten Bohème- Anekdoten einmal ab, gingen von hier wichtige Impulse und Initiativen aus: es wurde viel und engagiert gearbeitet. Gustav Landauer, Erich Mühsam und Albert Weidner gaben ihre anarchistische Zeitung Der Arme Teufel heraus, Friedrichshagen war des weiteren Redaktionssitz von der Freien Bühne, der Neuen Gemeinschaft, um nur einige Zeitschriftenprojekte zu nennen.

Neben den Harts waren Bruno Wille und Wilhelm Bölsche die Vorhut der Müggelsee-Avantgarde. Sie gründeten zahlreiche Einrichtungen der Erwachsenen- und Arbeiterbildung, zum Beispiel die Freie Volksbühne. In diesem Rahmen wurden Sommerfeste veranstaltet, zu denen laut einem Bericht der Polizei, die mißtrauisch und rigoros das Treiben überwachte, im Jahr 1892 rund 27.000 Personen anreisten. Friedrichshagen war keinesfalls ein Domizil im Elfenbeinturm am Strand des Müggelsees, auch wenn Arno Holz den Kreis als „Sozialaristocraten“ verhöhnte.

Als „Musenhof am Müggelsee“, „Kamerun vor Berlin“ oder „Müggelseerepublik“ wurde die Kolonie liebevoll von ihren Anhängern bezeichnet. Schlicht „Berlin-Friedrichshagen“ heißt dagegen der rund 400 Seiten starke Band von Gertrude Cepl-Kaufmann und Rolf Kauffeldt, der allerdings mit dem Untertitel „Literaturhauptstadt um die Jahrhundertwende“ und, damit noch nicht genug, mit „Der Friedrichshagener Dichterkreis“ versehen ist. Diese Umständlichkeit liegt in der Tücke der Materie selbst: Im Friedrichshagener Kreis zeigen sich die verschiedenen Strömungen, die um die Jahrhundertwende von Bedeutung waren, und das waren wahrlich viele. In der Literatur reicht das vom Spätnaturalismus zum Impressionismus und frühexpressionistischen Arbeiten. Mauthners Sprachkritik, die monistische Ausrichtung um Ernst Haeckel, Theosophie und Nietzscherezeption werden bestimmend.

Die Autoren des reich bebilderten Bandes versuchen alles zu berücksichtigen, dabei entsteht ein eklektizistisches Gemenge statt eines Versuchs der Konzentration. Über die Hälfte des Textes sind zudem Originalzitate aus den vielzähligen Lebenserinnerungen der Friedrichshagener. Die Textpassagen dazwischen wirken wie anmoderiert und gehen in der nächsten Zitatmasse unter. Unklar ist auch, für welche Lesergruppe dieses Buch eigentlich gedacht ist: so recht ein Berlin-Bildband für literarisch Interessierte ist es nicht geworden, für ein Sachbuch oder Fachwerk geriet es zu rudimentär. „O ihr Tage in Friedrichshagen“ betitelte Julius Hart seine Eloge auf den Ort, der Mythos und Hausnummer zugleich war, den Autoren ist bei der Recherche allerdings zu viel Wasser in den Literatentoddy geraten. Caroline Roeder

Gertrud Cepl-Kaufmann/Rolf Kauffeldt: Berlin-Friedrichshagen. Klaus Boer Verlag. 427 S.. 68 DM.

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