: Wo Sauerteig vom Balkon lacht
■ „Blitzschlag Liebe Sauerteig“ - ein deutscher Comic strip in Hamburg premiert
Stellen Sie sich vor, Sie läsen im Prgrammprospekt des Hamburger Schauspielhauses folgenden Text: „All diese grausigen Geschichten über verbrennende Alkoholiker, sadistische Spießer, explodierende Idyllen, mißratene Träumer...Hier, wo Spießigkeit überlebt, bis Zeit und Schicksal den Faden abschneiden. Wo das Leben als eine Kette erlittener und zugefügter Bosheiten definiert wird, wo alles Handeln in Kata
strophen führt, wo Durchschnittlichkeit vorherrscht...“ würden Sie nicht auf Edward Bond tippen oder auf das „Fegefeuer von Ingolstadt“ von der Fleißner oder an Horvaths „Geschichten aus dem Wienerwald“? Und wenn Sie dann sähen, es handelt sich um einen Wilhelm-Busch-Bilderbogen und dies im Schauspielhaus, würden Sie nicht auch hingehen und hinterfotzig Bürgerschreckliches erwarten?
Gedacht, gereist, und da saß ich dann und hörte sie lachen, die röhrend-feiste, deutsche Biertischlache, schallend und selbstvergessen-selbstgewiß männlich, in dicken Fladen wie Sauerteig oben rechts vom Balkon heruntertropfend. Und da in der Reihe vor mir ein kongeniales Exemplar. Etwas stimmte nicht. Aber was?
Auf die Bühne hatte Regisseur
Götz Löpelmann ein kühles, a-naturalistisches Bühnenbild gestellt, keine Verwechslung mit Ohnesorgs Häkeldecken möglich. Er hatte Busch knüttelnde, klappernde Verse auf die verteilt, die darin vorkommen. Also, wenn Helene, die ungenügend fromme, gen Lebensende ihren ohne geeignetes Objekt bleibenden Triebdruck in Suff umwandelt - „Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör“ dann spricht das die Darstellerin der Helene, übrigens mit Abstand am besten von all den zahlreichen Darstellern, cool und lakonisch. Auf diese Weise entsteht ein scenischer Comic strip, ja, wirklich, Bild und Sprechblase, nebst solchen erst dort üblich werdenden Expressiva wie Ha! Heissa! Krawumm, Pitsch! Plumps! Huhu Haha etcetera. Mit der unfrommen Helene als Leitfaden für die Umwandlung von unterdrückter Sexualität in Wut, Aggression z.B gegen des Katers „Schweifs behaarte Rute“, den sie ihm in die Tür einklemmt (in Hamburg weggelassen), bis zum bitteren Suffende. Hineinmontiert sind diverse andere Geschichten von Balduin Bählamm bis zum Heiligen Antonius von Padua. Also blitzmodern eigentlich, nebst einem Blitz, der aus
gelbem Papier gefertigt vom Schnürboden dahlschlägt.
„Was dem Gelächter preisgegeben werden kann, wird entdämonisiert und seiner pathetischen Verlogenheit entkleidet“, entnehme ich dem Programm. Lacht die feiste Spießer-Sauerteiglache aus entkleideter Verlogenheit? Ich hatte den Eindruck von sehr angezogener Anzüglichkeit. Und den, daß Busch hier blitzsauber-unterhaltsam abgeliefert wird, frei von Ohnesorg, frei auch davon, seine Sardonismen grell und schrill zu intonieren, grade eben so, daß er ein heimatversöhnendes Nettigkeitsprogramm zu den auftrumpfenden Schweinigeleien des endlich entweichenden Herrn Zadek abgibt.
Vielleicht ist es aber auch so, daß aus Busch Wilhelms Versgut schwitzt, was es haßt. Nachdem er den Metropolen -großer-Maler-Werden-Träumen abgesagt hatte, war der spießer - und eheverabscheuende Junggeselle über Jahrzehnte bei seiner Schwester, Pfarrersfrau, untergekrochen und hatte den Wiedensahler Mief komprimiert umgesetzt in seine Volkes Schmunzel gewordenen Sardonika. Ist das wirklich so schlimm, wenn das Volk nicht weiß, was es belacht?
Uta Stolle
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