Wladimir Kaminer über deutsche Weihnachten: "Alle verstecken sich hinter Gänsen"

Wladimir Kaminer verlässt Weihnachten seine Familie und geht tanzen. Viele Deutschen hingegen verstecken sich an Heiligabend hinter fetten Gänsebraten, sagt er. "Das ist doch nicht lebendig!"

Kaminer: "Das sieht doch aus wie der Tod" Bild: adrian fiedler - Lizenz: cc-by-sa

taz: Herr Kaminer, lassen Sie Ihre Kinder an Heiligabend tatsächlich allein zu Haus?

Wladimir Kaminer: Nein, meine Frau bleibt bei ihnen, während ich in der Volksbühne eine Party für die Leute mache, die niemanden haben oder aber auch einfach keine Lust darauf, mit der Familie zu Hause zu sitzen. Dafür ernte ich gerade auch schon böse Blicke - von meiner Frau!

Die deutsche Version von Weihnachten ist also nicht so Ihr Fall?

Hier verstecken sich alle zu Hause hinter ihrem fetten Gänsebraten, jeder zieht sich zurück in sein Heim, das ist doch nicht lebendig, das sieht doch alles aus wie der Tod! Dazu kommt das, was meine Frau den Faschismus der Natur nennt: das Wetter! Die Kälte! Der Schnee! Ich persönlich glaube nicht, dass es das war, was der liebe Gott wollte. Ich glaube, seine Idee von einem gelungenen Weihnachtsfest ähnelt eher dem, was wir in der Volksbühne abziehen werden. Tanzen, reden, zusammen sein.

Weihnachten ist eben eher ein Familienfest …

Ja, das mag Sinn machen, wenn man seine Familie nur einmal im Jahr sieht. Ich aber sehe meine jeden Tag, deshalb gehen wir an Weihnachten aus. Richtig heftig feiern wir aber erst Silvester, mit einem Feuerwerk, das der Eroberung Berlins 1945 nahekommen soll. Die Feuerwerkskörper beziehe ich über eine Firma in Polen, allerdings dürfen die nicht vor dem 29. Dezember geliefert werden, das gilt wohl sonst als eine Art terroristischer Akt.

Wladimir Kaminer, 1967 in Moskau geboren, ist Schriftsteller und Dj und lebt in Berlin. Er ist unter anderem der Autor von „Militärmusik“, „Meine kaukasische Schwiegermutter“ und „Russendisko“. Am 24. Dezember ab 21 Uhr liest er im großen Haus der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Bevor es am 24. 12. in der Volksbühne richtig losgeht, werden Sie lesen. Werden Sie wenigstens dabei ein wenig Besinnlichkeit aufkommen lassen?

Das weiß ich noch nicht genau. Am liebsten aber möchte ich etwas lesen, von dem ich mich bisher nicht getraut habe es zu veröffentlichen.

Das Thema des Abends lautet: "Die Weihnachtsgesänge der weißrussischen PARtysanen" - was bitte schön ist denn das?

Mein Freund ist Weißrusse. Er war gerade erst dort, bekam von den politischen Vorgängen im Land selbst aber nicht viel mit - das Internet ist dort in weiten Teilen lahmgelegt, das Fernsehen eine Art Waffe des bestehenden Systems. Alle Geschichten meines Freundes sind nichts als Klagen, und das lässt sich mit den Partisanenliedern gut ausdrücken. Deshalb haben wir das als Thema gewählt.

Letztes Jahr haben Sie auch schon am Heiligabend in der Volksbühne gefeiert. Mal ehrlich, wie viele haben sich hinter ihren Gänsekeulen hervorgewagt?

Ich kann mich erinnern, dass wir allesamt auf so einer Art Sandsäcken saßen, weil die Volksbühne damals gerade renoviert wurde. Ein bisschen sah es aus wie im Krieg. Was die Anzahl der Besucher angeht, bin ich nicht so kleinkariert. Hauptsache, es stehen mehr Leute vor der Bühne als darauf. Die Musik spielt übrigens bei einer Party überhaupt keine Rolle. Ihre Lieblingslieder hören die Leute zu Hause in ihrer Küche. Auf Partys ist der DJ wichtig, nicht der Song!

Ist Ihre kaukasische Schwiegermutter mit dieser Art, Weihnachten zu feiern, einverstanden?

Oh, sie kommt zu uns. Es war gar nicht so einfach, sie durch die russischen Behörden und die Schneemassen hierherzubekommen! Aber nun sitzt sie im Flugzeug.

Jetzt kandidieren Sie doch nicht, wie 2006 angekündigt, als Berliner Bürgermeister - was wird 2011 trotzdem besser?

2011 wird bombastisch, das hab ich einfach im Urin. Ich hoffe, dass nach der Integrationsdebatte von 2010 nun eine echte Diskussion beginnt. Eine, die nicht die schlecht Gekleideten, die Schwächeren als Schuldige ausmacht, sondern nach oben blickt. Dort liegen die echten Mängel, nicht mal so sehr bei den Politikern, sondern bei den Banken. Gut, wir sitzen wohl alle in einem Boot, trotzdem glaube ich, dass die Banken handeln müssen. Man muss die Stärkeren zur Verantwortung ziehen. In Russland ist es derzeit ähnlich, dort drischt man nun auf die Kaukasier ein.

Ihr allererster Text "Wodka rasiert" erschien am 22. 12. 98 in der taz, es ging um die Unterschiede zwischen russischem und deutschem Weihnachten.

Seither werde ich etwa zweimal täglich zu diesem Thema interviewt. Ich weiß mittlerweile schon gar nicht mehr, was ich darauf noch antworten soll. Ich glaube, die Russen feiern einfach gerne, zu jeder Gelegenheit. Bloß nicht alleine!

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