Wissenschaftsgeschichte: Tuberkelpilz und saubere Hände
Vor 125 Jahren wurde das Hygieneinstitut der Charité gegründet. Wo Robert Koch einst noch im stillen Kämmerlein Erreger züchtete, wird jetzt die Hygiene in Krankenhäusern erforscht.
Als am 1. Juli 1885 das neue Hygiene-Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin eröffnet, ist das Gröbste schon vorbei: Stinkende Rinnsteine, in denen Abwasser und Fäkalien faulen, gehören der Vergangenheit an. Fast alle Haushalte in der Innenstadt sind an das neue unterirdische Kanalisationssystem mit Abwasserpumpen und Rieselfeldern angeschlossen. Eine 1883 eröffnete Hygiene-Ausstellung mit Brausebad und dem von Robert Koch entdeckten Tuberkelpilz sorgt für Besucherrekorde. "In einer rasant wachsenden Metropole wie Berlin mit licht- und luftlosen Mietskasernen waren Seuchen ein großes Thema", sagt Petra Gastmeier, die seit 2008 das heutige Hygiene-Institut der Charité leitet. "Die Leute ließen sich mit Begeisterung im richtigen Lüften von Wohnungen oder der hygienischen Nahrungsmittelzubereitung unterweisen."
Nicht nur die Bevölkerung interessierte sich brennend für den Zusammenhang zwischen sauberen Händen und Krankheiten: Auch das Kultusministerium ordnete eine ständige Ausstellung zu Lehr- und Studienzwecken an. Zum Chef des Hygienemuseums berief man den renommierten Bakteriologen und Entdecker des Tuberkulose-Erregers Robert Koch. Er bekam ein eigenes Laboratorium und einen Stall mit Versuchstieren für die Forschung.
Doch das Museum war nur Tarnung für das neue Institut, dem die Universitätsprofessoren unter dem Pathologen Rudolf Virchow ablehnend gegenüberstanden - praktischen Hygieneunterricht und Gutachten für die öffentliche Gesundheitspflege hielten sie für unpassend an einer Universität.
Robert Koch machte sich mit dem Segen der kaiserlichen Beamten und einem Mitarbeiterstab aus abkommandierten Militärärzten trotzdem ans Werk. In den Räumen einer ehemaligen Gewerbeschule in der Klosterstraße erforschte er Krankheitserreger, unterrichtete Studenten in Bakteriologie und gab Hygienekurse für Verwaltungs- und Schulbeamte.
"Koch war eine Koryphäe - unzählige Ärzte und Studenten aus dem In- und Ausland ließen sich von ihm ausbilden", sagt Gastmeier. 1890 wollte Koch zurück in die Forschung und ging ans Königlich Preußische Institut für Infektionskrankheiten. Unter seinen Nachfolgern Max Rubner (1891-1909) und Carl Flügge (1847-1923) erweiterte sich das Fach Hygiene, das Institut zog zweimal um. Nach dem Ersten Weltkrieg etablierte sich die Sozialhygiene, man nahm sich des Menschen in seiner sozialen Befindlichkeit an. In der Nazi-Zeit propagierte das Institut eine raumbezogene "Geomedizin", das neu geschaffene Institut für Rassenhygiene diente dem Rassenwahn des Regimes und arbeitete mit der SS zusammen - auch bei Menschenversuchen.
Nach dem Krieg forschten das Hygiene-Institut der Charité (Ost) und das Robert-Koch-Institut der Freien Universität getrennt, im Osten fokussierte man sich auf sozialhygienische Themen, im Westen spaltete man das Fach auf in Hygiene, Virologie und Mikrobiologie.
Und heute? Die Tuberkulose ist so gut wie ausgestorben, "nie war die Situation so gut", beruhigt Institutschefin Gastmeier. Mit dem Impfen der Bevölkerung gegen Vogel- oder Schweinegrippe befasst sich das Robert-Koch-Institut, das auch Empfehlungen an Kliniken und Behörden gibt. Im Gegensatz zur Anfangszeit ist es nicht mehr Aufgabe des Hygieneinstituts, in die Stadt hinein zu wirken.
Die Krankenhaushygiene ist mittlerweile das Hauptbetätigungsfeld der Institution, die jetzt Institut für Hygiene und Umweltmedizin heißt. Am Hauptsitz Hindenburgdamm beschäftigen sich rund 40 MitarbeiterInnen mit der Erforschung von sogenannten nosokomialen Erregern, die im Krankenhaus erworben werden. "Zu Kochs Zeiten entstanden Infektionen durch mangelnde Sterilisation von Geräten oder Ansteckung zwischen Patienten", beschreibt Gastmeier die Problematik. "Heutzutage besteht die Hauptinfektionsgefahr in Plastikschläuchen oder -kanülen, die in den menschlichen Körper eingeführt werden und die Infektion mit Erregern auf der eigenen Hautflora begünstigen." Die Hygieniker vom Hindenburgdamm sammeln Infektionsdaten aus 900 deutschen Krankenhäusern und schulen Krankenhauspersonal im richtigen Desinfizieren. "Aktion saubere Hände" heißt die 2008 begonnene Maßnahme ganz schlicht.
Robert Koch wäre begeistert gewesen.
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