Wissenschaftlerin über Kita-Streiks: "Es ist ein Siedepunkt erreicht"
Die ErzieherInnen streiken zu Recht, meint Wissenschaftlerin Liane Pluto. Sie sollen jedes Kind individuell fördern, sind aber selbst prekärer denn je beschäftigt.
ist 35 und Erziehungswissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut in München. Sie hat 2007 die bundesweite Kita-Befragung mit durchgeführt.
taz: Frau Pluto, Sie haben eine Befragung zur Arbeit in deutschen Kitas durchgeführt. Streiken die ErzieherInnen zu Recht?
Liane Pluto: Ich verstehe die Erzieherinnen. Die Anforderungen an ihre Arbeit haben sich erhöht, aber die Bedingungen haben sich verschlechtert. Mehr von ihnen arbeiten am Rand der Prekarität: Es gibt mehr befristete Arbeitsplätze, 60 Prozent der Erzieherinnen arbeiten Teilzeit. Sie sollen die Kinder bilden, aber oft wird ihnen keine oder nur wenig Vorbereitungszeit dafür eingeräumt.
Heißt das, die Kitas haben sich auf die neuen Bildungspläne, die es seit einigen Jahren gibt, gar nicht eingestellt?
Doch, vier Fünftel aller Kitas haben sich verändert. Aber sie haben das vor allem auf Kosten des Personals getan. Die Bildungspläne sehen etwa kleine naturwissenschaftliche Experimente vor. Aber so etwas ist nicht Teil ihrer Ausbildung gewesen. Nun sind die Erzieherinnen und Erzieher sehr aufgeschlossen für Fortbildungen. Aber es gibt dann keine Ersatzkraft in der Kita. Jeder Fortbildungstag einer Erzieherin ist eine große Belastung für die anderen, die ihre Arbeit dann mit übernehmen müssen.
Die Bildungspläne sind organisatorisch gar nicht berücksichtigt worden?
Sie haben sich nicht in der Personalplanung niedergeschlagen. Zum Beispiel muss nun die Entwicklung jedes Kindes gesondert dokumentiert werden. Aber niemand weiß, wann diese Tagebücher geschrieben werden sollen.
Dieser Druck existiert ja schon länger. Warum streiken die ErzieherInnen erst jetzt?
Jetzt ist wohl ein Siedepunkt erreicht. Die Erzieherinnen sind hochmotiviert. Sie sind mit Leib und Seele dabei. Aber die höchste Motivation kann immer schlechtere Arbeitsbedingungen nicht ausgleichen. Auch hat sich die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema stark erhöht. Wenn Kinder mehr Zeit in der Kita verbringen, dann fragen die Eltern sehr viel genauer nach, ob sie dort gut gefördert werden. Sie stellen also neue Anforderungen an die ErzieherInnen. Die geraten unter noch mehr Druck und sagen ganz zu Recht: Unter diesen Bedingungen funktioniert das nicht.
Zumindest die Bezahlung sollte mit der Einführung des neuen Tarifvertrags des öffentlichen Diensts besser werden.
Der Tarif ist eher schlechter geworden. Wenn eine Erzieherin die Stelle wechselt, werden ihre Berufsjahre nicht mehr automatisch anerkannt. Und da viele Stellen befristet sind, betrifft das immer mehr Fachkräfte. Ohnehin sind sie im Vergleich mit anderen Berufsgruppen im Bildungswesen eher schlecht bezahlt. Nun kommen noch die unsicheren Arbeitsbedingungen dazu. In vielen Kitas wird erst am Anfang des Monats geplant, wer wie viel arbeitet. Damit schwankt auch das Einkommen. Das ist eine sehr große Belastung und damit sinkt wahrscheinlich auch die Attraktivität des Berufs für den Nachwuchs, der schon jetzt dringend gesucht wird.
Im Osten ist die Versorgungslage generell besser. Braucht es dort also keinen Streik?
Doch, quantitativ ist die Versorgung zwar besser, aber die Arbeitsbedingungen sind tendenziell schlechter. Gerade im Osten sind die Gruppen oft sehr groß, es mangelt an Vorbereitungszeiten und die neuen Anforderungen sind noch schlechter erfüllbar als im Westen.
Die Kommunen müssen sparen, viele haben Haushaltssperren. Was sollten die nun tun?
Ich habe den Eindruck, manche Kommunen hoffen, dass durch die Wirtschaftskrise mehr Mütter zu Hause bleiben und sich das Personalproblem an den Kitas so löst. Aber das wird nicht passieren. Im Gegenteil, die Eltern verbringen aus Angst vor der Entlassung noch mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz und brauchen dringender denn je eine angemessene Betreuung. Die Kommunen werden umdenken und dann auch Geld umverteilen müssen.
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