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Wissenschaftler feiern JubiläumWenn Wissen Angst macht

Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) feiert ihr 50-jähriges Jubiläum. Bis heute gilt die Vereinigung als wissenschaftlicher Arm der deutschen Friedensbewegung.

Die Kritik von Wissenschaftlern an der Bewaffnung mit Atombomben führte zur Gründung des VDW. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Angst vor einem Atomkrieg saß Ende der 1950er-Jahre auch bei Wissenschaftlern tief - gerade bei all jenen, die sich mit der Materie besonders gut auskannten. Am Rande einer Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) setzte sich 1959 eine Gruppe prominenter Physiker zusammen, darunter Carl Friedrich von Weizsäcker und die Nobelpreisträger Otto Hahn, Werner Heisenberg und Max Born. Derselbe Kreis hatte zwei Jahre zuvor für Aufmerksamkeit gesorgt, als er mit der "Göttinger Erklärung" sich namentlich an den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) wandte, um vor den Folgen der angestrebten Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen zu warnen. Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) war gegründet.

50 Jahre später gibt es die Vereinigung noch immer. Sie ist schon lange nicht mehr Institutsleitern vorbehalten, wie es damals in der Satzung stand - und damit nur einem kleinen Kreis von Honoratioren. Inzwischen genügt zur Mitgliedschaft, sich in der Tradition "verantwortlicher Wissenschaft" zu fühlen und "das Bewusstsein der in der Wissenschaft Tätigen für ihre Verantwortung an den Auswirkungen ihrer Arbeiten auf die Gesellschaft wachzuhalten".

Auf über 400 Natur-, Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen ist die VDW inzwischen angewachsen. Die Betonung liegt auf dem großen I. Denn im Gründungsjahr war nicht eine einzige Frau dabei. Heute sind es rund 30 Prozent. Mit einem Festakt und einem anschließenden Kongress feiern die Wissenschaftler an diesem Wochenende in Berlin den runden Geburtstag.

Von Beginn an hat die VDW auf Tagungen, in Forschungsgruppen und in wissenschaftlichen Publikationen Stellung bezogen, vor allem wenn es um Friedenspolitik geht. Sie gilt als eine der Gründungsgruppen und einer der wichtigsten Impulsgeber der bundesrepublikanischen Friedensbewegung in der Nachkriegszeit. "Fragen von Krieg und Frieden, besonders die Abschaffung aller Atomwaffen sind bis heute aktuell", sagt VDW-Geschäftsführer Reiner Braun.

Doch abgesehen vom Göttinger Appell, dem Vorläufer des VDW, der dazu führte, dass einige der prominenten Atomforscher massiv von der Politik und in den Uni-Kreisen unter Beschuss standen, gelang es der VDW in all den Jahren nicht, über die kritischen Wissenschaftskreise und dem harten Kern der Friedensbewegung hinaus, zu einer allgemein bekannten Stimme zu werden. "Vor allem die Blütezeit der Friedenszeit haben wir verschlafen", sagt Braun selbstkritisch.

Anders als etwa die IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), die wissenschaftlich untermauert viel stärker aktiver Bestandteil der Friedensbewegung sind, gilt die VDW bis heute als eher "bürgerliche Organisation", wie es Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperation bezeichnet. Und doch hebt auch Golla hervor, welche "innovativen Vorstöße" die Wissenschaftler der VDW immer wieder geleistet haben. Golla verweist auf den 1999 erstmals von der VDW gestifteten Whistleblower-Preis für Zivilcourage. Abgeleitet aus dem Englischen ehrt die VDW seitdem jährlich damit Personen, die friedens- und umweltpolitische Missstände aufgedeckt und an die Öffentlichkeit getragen haben. Zu den Preisträgern gehörten unter anderem der ehemalige sowjetische Marinekapitän Alexander Nikitin, der auf unsichere Atommülllager und gefährliche Praktiken der russischen Nordmeerflotte aufmerksam gemacht hat, oder die deutsche Tierärztin Margrit Herbst, die 1994 die Öffentlichkeit über die Vertuschung der ersten BSE-Fälle aufklärte.

Auf dem Jubiläumskongress am Wochenende stehen neben der nuklearen Abrüstung vor allem "der Klimawandel und die Verantwortung der Wissenschaft in einer globalisierten Welt" im Mittelpunkt auf dem Programm. Neben den Wissenschaftler Hartmut Graßl und Frank von Hippel wird auch VDW-Mitbegründer Ernst Ulrich von Weizsäcker auftreten.

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