: Wissenschaft kritisiert Ozon-Politik
11.Symposium der Internationalen Ozon-Kommission in Göttingen / „Zeitverzögerungsproblem ist größte Schwierigkeit“ / Politiker müssen jetzt handeln / Wirbel um Meinungen von sowjetischem Wissenschaftler ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin(taz) - „Das Zeitverzögerungsproblem, heute reagieren zu müssen, weil morgen etwas passieren kann, ist in der Geschichte der Menschheit bisher einmalig. Normalerweise reagieren Menschen erst, wenn sie an den Ofen fassen und merken, daß er heiß ist.“ Dr. Gerd K. Hartmann vom Max -Planck-Institut für Aeronomie in Kaltenburg-Lindau (Harz) spricht von dem vielleicht größten Problem, mit dem sich die WissenschaftlerInnen bei ihren Bemühungen um eine Eindämmung des wachsenden Ozonlochs über der Antarktis herumschlagen müssen.
Es dauert 15 Jahre, bis die heute aus Spraydosen versprühten und in erster Linie für die Abnahme des Ozons in der Stratosphäre verantwortlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) in den oberen Atmosphärenschichten ankommen.
Die rund 350 WissenschaftlerInnen aus dem In- und Ausland, die sich in dieser Woche zum 11.Symposium der Internationalen Ozon-Kommission in Göttingen treffen, wurden gleich zur Begrüßung mit den Wirkungen des von Hartmann angesprochenen „Zeitverzögerungsproblems“ konfrontiert. Obwohl die FCKW als „hausgemachte“ Hauptursache der Ozon -Abnahme in der Stratosphäre mittlerweile unumstritten sind, klagte der für Minister Riesenhuber angereiste Staatssekretär Gebhard Ziller aus dem Bundesforschungsministerium, das Verständnis von den Vorgängen sei noch „sehr lückenhaft“. Und: „Deshalb fehlen für notwendige politische Handlungen naturgemäß Empfehlungen der Wissenschaft“. Seit Jahren jedoch fordern Klimaforscher einen Produktionsstop der FCKW, der von Politik und Wirtschaft lange ignoriert und nun viel zu halbherzig - wie die Experten beklagen - schrittweise umgesetzt werden soll. Der Sprecher des Kongresses, Dr. Kristian Schlegel gab denn auch den Ball prompt an die Politik zurück. Die Trends und Warnungen seien eindeutig genug; nun sei die Politik gefordert, etwas zu tun.
Einigkeit besteht inzwischen bei den Forschern auch über die möglichen Auswirkungen einer weitergehenden Auflösung des Ozonmantels in der Stratosphäre auf Menschen, Tiere und Pflanzen. Der Schutz vor der harten ultravioletten Sonneneinstrahlung würde zusammenbrechen und verstärkt zu Hautkrebs und auch Schädigungen im Bereich von Pflanzen- und Tierwelt führen.
Kein Wunder, daß in den ersten Kongreßtagen alarmierende Untersuchungsergebnisse für Aufregung sorgten, die in der vergangenen Woche in der sowjetischen Presse veröffentlicht wurden. Sowjetische Wissenschaftler wollen über Moskau, Kiew und anderen Bevölkerungszentren in der Sowjetunion in mehr als 50 Fällen eine zeitlich begrenzte Verdünnung der Ozonschicht in der Atmosphäre entdeckt haben.
Diese Ergebnisse wurden von Teilnehmern des Göttinger Kongresses allerdings stark angezweifelt. „Selbst wenn die sowjetischen Wissenschaftler technisch in der Lage wären, so etwas zu messen“, sagte der Sekretär der in Genf ansässigen internationalen Ozonkommission, der Bulgare Dr. Rumen D. Bojkow, „sprechen die atmosphärischen Vorgänge dieser Region dagegen“. Im Gegensatz zur Antarktis herrsche dort ein so starker Austausch zwischen den oberen und unteren Luftmassen, daß die Ergebnisse schwer zu verstehen seien.
Die meisten Wissenschaftler halten die bisher eingeleiteten Maßnahmen für nicht ausreichend. Kongreßleiter Professor Peter Fabian wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß zwar das Ozonloch „knallhart erstmalig auf der Südhalbkugel“ gemessen worden sei, die „Schadstoffe allerdings hauptsächlich auf der Nordhalbkugel in die Atmosphäre immitiert“ werden. Daran sehe man, „daß es im Grunde ganz gleich ist, von wo aus der Immissionseintrag von der Erde her erfolgt“, sagte Fabian.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen