: „Wissen und Bildung verändern die Dynamik der Gesellschaft“
Am Donnerstag beginnt das Human Rights Film Festival. Die Dokumentation „Writing with Fire“, die dort Premiere feiert, begleitet die Arbeit von „Khabar Lahariya“, der einzigen von Frauen geführten Zeitung Indiens
Interview Noa Rhievs
Das Human Rights Film Festival, zeigt ab morgen „Geschichten von Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und humanitären Helfer*innen“. Im Programm läuft etwa der Dokfilm „Writing with Fire“, der am 21. September Premiere hat. Er porträtiert „Khabar Lahariya“, die einzige von Frauen geführte Zeitung Indiens. Ein Gespräch mit den Filmemachern Rintu Thomas und Sushmit Ghosh, die vier Jahre die zwei Reporterinnen und die Chefredakteurin Meera Davi begleiteten.
taz: Rintu Thomas und Sushmit Ghosh, wie sind Sie auf die Arbeit von Khabar Lahariya aufmerksam geworden?
Rintu Thomas: Im Internet. In dem Bericht ging es um eine Frau, die in einem sehr ländlichen Teil Indiens eine Zeitung verteilte, bei deren Herausgabe sie mitgeholfen hatte, was sehr ungewöhnlich war. Als wir die gesamte Redaktion dann zum ersten Mal trafen, diskutierten sie die Umstellung der Zeitung von Print auf digital, und wir beschlossen, diesen Prozess zu dokumentieren.
Frau Devi, Khabar Lahariya ist die einzige Zeitung in Indien, die nicht nur von Journalistinnen, sondern auch ausschließlich von Frauen aus marginalisierten Gemeinschaften geführt wird. Auf welche Themen konzentrieren Sie sich?
Meera Devi: Khabar Lahariya berichtet regelmäßig über Themen, mit denen marginalisierte Gemeinschaften wie Dalits, Muslime und Stammesangehörige konfrontiert sind. Während der landesweiten Abriegelung im letzten Jahr berichteten wir darüber, wie die Lebensgrundlage dieser Gemeinschaften beeinträchtigt wurde, wir berichten über die Bergbaumafia im Norden, über Vergewaltigungsfälle und so weiter. Es wäre nicht falsch, zu sagen, dass über 60 Prozent der Nachrichten bei Khabar Lahariya von diesen marginalisierten Gemeinschaften handeln. Ich erinnere mich an eine Serie von Berichten über nicht funktionierende Handpumpen in einem Dorf in Mahoba, einem Bezirk von Uttar Pradesh. Und innerhalb von zwei Wochen nach Veröffentlichung des Berichts wurden die Handpumpen von den Behörden repariert.
Der Dokumentarfilm „Writing With Fire“ zeigt zum einen den Aufstieg und Alltag dieser Zeitungsredaktion, aber auch den Kontext der Journalistinnen als Dalit. Wie gelingt es, eine Wirklichkeit zu dokumentieren, die nicht der eigenen entspricht, ohne dabei allein durch die Kameraperspektive und den Schnitt Vorurteile und gängige Narrative zu reproduzieren?
Thomas: Das ist eine sehr gute Frage. Zwischen vor und hinter der Kamera gibt es oft ein ungleiches Verhältnis, und in diesem Fall besonders, weil das System uralt und ziemlich festgefahren ist. Wir teilen nicht die Kaste und die soziale Schicht, in der Meera und ihre Kolleginnen leben. Das mussten wir anerkennen, also haben wir viel Zeit in die Recherche investiert und sie vier Jahre lang begleitet. Wir wollten keine Heldinnen und auch keine Opfer zeigen, da beide Extreme entmenschlichend wirken, stattdessen wollten wir sie als Chefinnen, als Kolleginnen, Freundinnen und Mütter zeigen und einfach nur porträtieren, inwiefern sie Indien verändern und zur Diskussion stellen, was für ein Land es in Zukunft sein wird. Wovor ich sehr großen Respekt habe, ist die Körperlichkeit der Berichterstattung selbst, im hintersten Winkel des Landes, wo nur alle drei Stunden ein Bus fährt, die Hitze drückt und die Journalistinnen oft zu Fuß unterwegs sind. Am Ende ist die Person, die sie treffen wollen, nicht da, und dann machen sie das am nächsten Tag wieder. So lange, bis jemand da ist.
Sushmit Ghosh: Das Gebiet, über das Khabar Lahariya berichtet, ist wie ein medialer blinder Fleck. Viele der Dörfer sind auf keiner Landkarte verzeichnet, aber im Laufe der Dreharbeiten haben wir gesehen, wie sie sich veränderten, wie Straßen gebaut, Gesundheitszentren eingerichtet und die Dörfer an das Stromnetz angeschlossen wurden. Aufgrund der Berichterstattung.
Thomas: Außerdem war uns wichtig zu zeigen, wie unterschiedlich Journalistinnen arbeiten. Daher begleiteten wir nicht nur Meera Devi, sondern auch ihre zwei Kolleginnen Shyamkali Devi und Suneeta Prajapati.
Frau Devi, im Film gibt es immer wieder Szenen, in denen Menschen aus den unteren Kasten Ihnen nicht glauben, dass Sie als Journalistinnen arbeiten, wohingegen sich die oberen Kasten mitunter weigern, mit Ihnen zu sprechen. Da ist die Szene auf einer Pressekonferenz bei der Polizei, in der ein Journalist Ihre Kollegin stark kritisiert und von ihr verlangt, dass sie die Institution zuerst lobt, bevor sie Fragen stellt, worauf sie kontert: „Von euch bekommen sie doch schon Lob genug.“
Devi: Wenn wir vor Ort berichten, werden wir oft nach unserem Nachnamen, unserem Familienstand oder nach unseren Ehemännern gefragt. In solchen Situationen nennen wir nur unseren Vornamen und verschweigen den Rest, vor allem, wenn absehbar ist, dass wir durch die Nennung unserer Kaste keine Antworten erhalten würden. Aber es kam auch vor, dass wir unsere Kastenzugehörigkeit zu unserem Vorteil genutzt haben, zum Beispiel bei der Berichterstattung über eine Vergewaltigungsserie in Hathras, wo wir uns sehr deutlich zu unserer Kastenzugehörigkeit äußerten, um das Vertrauen der Frauen zu gewinnen.
Inwiefern beeinflussen Geschichten, im Film als auch im Journalismus, die Gesellschaft?
Ghosh: Ich denke, dass viele der Probleme, mit denen wir derzeit weltweit konfrontiert sind, darauf zurückzuführen sind, dass der Raum für unabhängige Medien massiv schrumpft, sodass diese ganze Debatte darüber, wer wessen Geschichte erzählt, in Bezug auf den Journalismus auch als „Wer erzählt wessen Nachrichten“ übersetzt werden kann. Was einen sofort zu der Frage bringt, was Wahrheit eigentlich ist oder nicht? Was ich an Khabar Lahariya einzigartig finde, ist, dass es eine Debatte darüber anstößt, was passiert, wenn man die Nachrichtenredaktion massiv diversifiziert. Wenn man eine Nachrichtenredaktion hat, in der Menschen aus marginalisierten Gruppen arbeiten, kann man das sofort an der Auswahl der Geschichten erkennen, über die sie berichten.
Die Filmemacher Rintu Thomas und Sushmit Ghosh gründeten 2009 in Neu-Delhi die Produktionsfirma Black Ticket Films. Sie haben seitdem in Indien und Korea gedreht.
Devi: Auf gesellschaftlicher Ebene würde ich nicht sagen, dass die Diskriminierung von Randgruppen durch unsere Arbeit abgenommen hat, aber die Menschen sind sich bewusst, dass wir Dalit-Reporterinnen sind, und dennoch haben wir unseren Platz am Tisch. Heute, nach viel Arbeit, wird uns ein Interview nicht mehr wegen unserer Kaste verweigert. Die Tatsache, dass wir uns einen Platz geschaffen und unsere Identität etabliert haben, ist eine positive Veränderung.
Thomas: Und das ist ein wichtiger Punkt. Wenn Wissen und Bildung ins Spiel kommen, ändert sich die Dynamik. Denn selbst in den oberen Kasten gibt es arme Menschen, die Gerechtigkeit wollen. Wir haben gesehen, wie Familien aus den oberen Kasten Khabar Lahariya willkommen hießen, weil sie wussten, dass sonst niemand über ihren Fall berichten wird.
Devi: Das stimmt, die Polizei und die lokalen Behörden sind nicht immer kooperativ. Vor allem in Fällen häuslicher Gewalt oder bei Vergewaltigungsvorwürfen weigert sich die Polizei oft, eine offizielle Anzeige zu erstatten, da es sich um eine „interne Familienangelegenheit“ handele.
Thomas: Und an diesem Punkt brechen die Kasten auf und werden langsam infrage gestellt.
Wie hat sich die Arbeit der Zeitung verändert, nachdem Sie 2016 nach 14 Jahren Print auf digital umgestiegen sind?
Devi: Ich denke, dass Videoreportagen härter treffen und mehr Wirkung haben. Wir sind nicht mehr an Wortgrenzen gebunden und können die Realität der Menschen zeigen, und niemand kann sie leugnen, weil sie für alle sichtbar ist. Wir hatten ein wenig Angst, bevor wir auf die Digitalisierung umgestiegen sind, denn das bedeutet auch, dass unsere Identitäten nun öffentlich sind, aber dafür bringen wir jetzt nicht nur wöchentlich, sondern jeden Tag mehrere Geschichten heraus.
„Writing With Fire“, 21. 9. BUFA, Atelier Gardens, 23. 9. Sputnik; Human Rights Film Festival, 16. bis 25. 9., www.humanrightsfilmfestivalberlin.de
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