Wirtschaftsrat zerlegt sich weiter: Vorstandsmitglieder auf der Flucht
Seit die Rechtsanwältin Inez Jürgens die Macht im CDU-Wirtschaftsrat übernahm, tobt ein Machtkampf: Acht von zwölf Vorständlern sind schon weg.
Chaos im CDU-Wirtschaftsrat. Seit am 13. November die Hamburger Rechtsanwältin Inez Jürgens überraschend zur Landesvorsitzenden gewählt wurde, hat sich die Führungsspitze des Unternehmensverbandes aufgelöst. Acht der zwölf Vorstandsmitglieder, darunter der Kaffeeproduzent Albert Darboven, Vattenfalls Norddeutschland-Chef Pieter Wasmuth und Eurogate-Geschäftsführer Gunther Bonz, haben ihr Ämter zurückgegeben.
Zudem kündigte Ex-Vorständler Ottmar Gast von der Reederei Hamburg Süd, einer der größten finanziellen Förderer des Wirtschaftsrates, seine Mitgliedschaft. Am heutigen Donnerstag will sich nun das Bundespräsidium auf einer Krisensitzung mit der Zukunft des Hamburger Landesverbandes beschäftigen.
Der Hintergrund: Als Nachfolger des bisherigen Landesvorsitzenden Jörg Debatin war eigentlich der frühere Bankvorständler Tjark Woydt (71), bis vorige Woche noch einer der Vizepräsidenten des FC St. Pauli, auserkoren. Woydt war im September von dem zwölfköpfigen Landesvorstand als einziger Kandidat aufgestellt worden – eine Nominierung, die auch die Vorständlerin Inez Jürgens aktiv unterstützte.
Doch auf der Mitgliederversammlung des 1.000 Mitglieder zählenden Rates kam es anders. Jürgens ließ sich als Gegenkandidatin vorschlagen und schlug mit ihrer Spontanbewerbung den designierten Debatin-Nachfolger Woydt mit knapper Mehrheit aus dem Rennen. Kaum war die Wahl ausgezählt, sprach man im Wirtschaftsrat hinter vorgehaltener Hand von einem „Putsch“ der Fünfzigjährigen.
vertritt die Interessen der unternehmerischen Wirtschaft gegenüber der CDU und will deren Wirtschaftspolitik mitgestalten,
wurde Ende 1963 in Bonn gegründet und hat heute seinen Hauptsitz in Berlin,
hat rund 11.000 Mitglieder, darunter 1.000 in Hamburg,
tritt für eine Wirtschaftspolitik im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft ein und wirbt bei seinen angeschlossenen Unternehmen für christdemokratische Grundsätze.
Tjark Woydt selbst betont, er habe erst eine Viertelstunde vor Versammlungsbeginn erfahren, dass hinter den Kulissen die Wahl von Inez Jürgens vorbereitet wurde. Mitglieder vertrauten ihm an, sie seien bereits im Vorfeld angesprochen worden, für die Juristin zu stimmen. „Seit zwanzig Jahren bin ich im Wirtschaftsrat, aber so etwas habe ich noch nie erlebt“, klagt Woydt, der von seinem Vorstandsposten ebenfalls einen Tag nach der Wahl zurücktrat: „Einen Kandidaten zu unterstützen und sich parallel selbst Mehrheiten zu verschaffen, ist unanständig.“
Der Wahlverlierer und die zurückgetretenen Landesvorständler fordern nun „offene und faire Neuwahlen.“ Auch Ex-Chef Debatin sieht vor dem Hintergrund, dass sich Jürgens erst der Nominierung Woydts anschloss, um später gegen ihn anzutreten, „keine Grundlage mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der gewählten Landesvorsitzenden“.
Doch auf die Neuwahlrufe hat die Neu-Chefin bislang noch nicht reagiert. Stattdessen will sie in die Zukunft blicken. „Wollen wir nach hinten schauen (...)? Wem nützt derart verbrannte Erde? Niemandem!“, schreibt sie in einer Pressemitteilung, in der sie schließlich ankündigt, „allen – im Sinne unserer gemeinsamen Sache – die Hand zu reichen“.
Gegenüber einem zurückgetretenen Vorstandsmitglied ließ Jürgens Anfang dieser Woche durchblicken, dass sie ihren Kurs durchziehen werde. Gespräche zwischen ihr und Woydt hat es bislang nicht gegeben. Neuwahlen will Jürgens nicht zulassen: Sie wären satzungsgemäß nur erforderlich, wenn der Landesvorstand auf zwei Mitglieder schrumpft.
Der Bundesvorstand könnte am heutigen Donnerstag eine Neuwahlempfehlung geben, doch in Hamburg wird von beiden Seiten damit gerechnet, dass er sich aus der Hamburger Schlammschlacht so weit wie möglich herauszuhalten versucht, um nicht selber beschädigt zu werden.
Sollte aus Berlin aber keine klare Ansage kommen, haben bereits mehrere Mitglieder intern Rücktritte von ihren Funktionen und Austritte aus dem Verband angekündigt. Die Selbstzerlegung des einflussreichen Unternehmergremiums, sie scheint noch lange nicht abgeschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen