Wirtschaftspsychologe über Preise: "Den rationalen Käufer gibt es nicht"
Ist eine kleine Kugel Eis einen Euro wert? Der Wirtschaftspsychologe Florian Bauer erklärt, warum Shoppen nie vernünftig ist.
taz: Es ist heiß, an den Eisdielen bilden sich Schlangen. Früher hat eine Kugel Eis um die fünfzig Pfennig gekostet, dann waren es fünfzig Cent. Und jetzt werden schon welche für einen Euro verkauft. Warum machen die Menschen das mit?
Florian Bauer: Weil es keinen absoluten Wertmaßstab dafür gibt, was ein Eis wert ist. Menschen haben keine feste Vorstellung davon, wann ein Produkt zu teuer ist. Gerade wenn die Preiserhöhung schleichend passiert, dann verändert sich auch die Preisbereitschaft. Die Leute gewöhnen sich einfach.
Der Preis spielt keine Rolle?
Doch, natürlich, aber beim Eis und anderen Konsumgütern ist es so: Der Preis ist ein Bruchteil unseres monatlichen Budgets. Da fangen wir nicht an, groß zu vergleichen oder zu überlegen, ob wir uns das leisten können. Wir haben Lust auf eine Kugel Eis, und dann kaufen wir sie eben.
Und wo ist dann die Schmerzgrenze?
Es gibt keine Schmerzgrenze. Zumindest keine absolute, sie verändert sich. Nehmen Sie mal den Benzinpreis, das ist ein wundervolles Beispiel. Vor ein paar Jahren haben die Leute gesagt, wenn das Benzin eine Mark fünfzig kostet, dann lassen wir das Auto stehen. Jetzt sind wir bei einem Euro fünfzig, und keiner hat aufgehört, Auto zu fahren.
Also entscheiden wir gar nicht rational beim Kauf?
Nein, überhaupt nicht. Den rationalen Käufer, den "Homo oeconomicus" aus dem Lehrbuch, den gibt es nicht.
Diesen Text und viele mehr finden Sie in der aktuellen vom 10./11. Juli 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
Wenn Sie Kaufentscheidungen sowieso nicht berechnen können, was machen Sie denn dann in der Preisforschung?
Wir versuchen, die Motive zu verstehen, die Leute zum Kaufen bewegen, und haben so Kaufentscheidungstypen identifiziert.
Zum Beispiel?
Nehmen wir den Verlust-Aversiven: der hat Angst, über den Tisch gezogen zu werden. Also sucht er nach Produkten, Preisen und Tarifen, bei denen er das Gefühl hat, fair behandelt zu werden. Ganz anders der Schnäppchenjäger: der will Prozente kriegen. Er fliegt für 19 Euro irgendwohin, wo er noch nie hinwollte. Einfach weil es nur 19 Euro kostet.
So einfach lassen sich Konsumenten in Schubladen stecken?
Nein. Beim Reisen ist einer vielleicht ein Schnäppchenjäger. Aber beim Auto zahlt derselbe Kunde für eine verlässliche Marke viel Geld.
Den perfekten Preis gibt es also gar nicht?
Stellen Sie sich mal vor, hundert Leute gehen in einen Laden, da gibt es drei Weine für fünf, sieben und neun Euro. Was glauben Sie, welchen kaufen die meisten?
Den für sieben Euro?
Genau. Und wenn in einem anderen Laden die gleichen Weine sieben, neun und elf Euro kosten?
Wahrscheinlich den für neun.
So ist es. Es geistert die Vorstellung herum, dass es einen fixen Marktpreis gibt, und wenn Unternehmen den übersteigen, kaufen die Leute nicht mehr. Das verkennt aber die Unfähigkeit von Menschen, stabile rationale Entscheidungen zu treffen. Jeder entscheidet in jeder Situation anders, immer im Vergleich zu anderen Produkten. Wir wollen auch nicht ewig aufwendig entscheiden, das wäre Zeitverschwendung. Deshalb nutzen wir solche Daumenregeln.
Das klingt, als hingen alle Kaufentscheidungen von Emotionen und Vergleichen ab. Aber wer kaum Geld hat, hat auch nicht viel Spielraum. Da gibt es doch ganz andere Schmerzgrenzen, oder?
Sicher. Sobald eine Budgetgrenze kommt, wo Sie sagen, das kann ich mir einfach nicht mehr leisten, dann entscheiden Sie anders. Das ist ein harter Anschlag.
Viele Kunden lassen sich auch mit Parolen wie "Geiz ist geil" und "20 Prozent auf alles" einfangen.
Ja, das funktioniert schon. Aber was mit solchen Strategien erreicht wird, ist ein Verfall der Wertigkeit von Produkten.
Ein Produkt wird weniger wert, weil "Geiz ist geil" draufsteht?
Das ist wie auf dem Fischmarkt. Wenn Sie immer noch einen obendrauf gepackt bekommen und am Ende nur den halben Preis bezahlen, dann fragen Sie sich schon, ob das Zeug was taugt. Dieses Spiel mit überhöhten Preisen und großen Rabatten ist für die Unternehmen teuer.
Wieso?
Wenn sie in der Krise aggressiv Rabatte geben, nehmen das die Leute als neuen Referenzpreis. Dann zahlen sie auch nach der Krise nicht mehr Geld, das Produkt ist ihnen weniger wert.
Bei welchen Produkten sind die Leute denn schmerzfrei, wofür geben sie gern Geld aus?
Vor allem für hedonistische Produkte: Markenkleidung, Schmuck, Urlaub. Die will man haben, die machen Spaß. Sie müssen nur noch vor sich rechtfertigen, dass Sie so viel Geld dafür ausgeben. Das dauert manchmal etwas länger, aber es gelingt weitaus besser als bei Produkten des täglichen Bedarfs.
Gilt das auch für Eis?
Absolut. Das hat ja keinen echten Nährwert.
Und wenn die Kugel demnächst zwei Euro kosten würde?
Wir würden uns mittelfristig auch daran gewöhnen. Denken Sie an die Benzinpreise.
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