Wirtschaftskrise trifft Harvard hart: US-Eliteuni in der Klemme
Der 37-Milliarden-Dollar Kapitalstock der US-Eliteuniversität Harvard schmilzt in der Wirtschaftskrise. Soll Harvard Bildungseinrichtung oder Investmentbank sein?
Die Harvard-Universität hat Humboldts akademisches Ideal des gleichberechtigten Gesprächs zwischen Professoren und Studenten mit acht bis zwanzig Seminarteilnehmern perfekt verwirklicht. Sie hat ihre Mittelakquise so ausgebaut, dass sie zuletzt die reichste Uni der Welt war, mit einem Stiftungsvermögen von 37 Milliarden Dollar. Die Studiengebühren in Harvard betragen 47.000 Dollar pro Jahr. Keine Gebühren zahlt man bei Jahreseinkommen von unter 60.000 Dollar, 10.000 bei Einkommen unter 180.000 Dollar. In Harvard studieren 25.000, davon knapp 10.000 Undergraduates. Die Harvard Management Company hat dieser Tage die Prämien für ihre sechs Topbörsenhändler verkündet: 26,8 Millionen Dollar. Honoriert wird das Geschäftsjahr bis 30. Juni. Seitdem hat die Uni 8 Milliarden Dollar ihres Vermögens eingebüßt. Gerüchte besagen, die Hälfte der Endowments sei gefährdet. "Die Uni hat das Recht, viel mehr über die wirklichen Verluste zu erfahren", sagen nun die Kritiker. CIF
Er berichtet anonym, denn seine Geschichte ist hart. Er versuchte sich dreimal das Leben zu nehmen in seinem ersten Jahr an der Harvard Business School. "Vielleicht war ich genervt von den Zillionen Jobvermittlern, die mich anriefen", erinnert sich der Student, "vielleicht hat mich der langweilige Typ in der Ecke krank gemacht, der sich im Kurs ständig meldete." Der junge Mann fand zu sich zurück, wie er schreibt, mit Hilfe des medizinischen und psychologischen Dienstes der Elite-Uni im Bostoner Vorort Cambridge.
Die Geschichte des suizidalen Studenten stand gerade im Harbus. Die Studentenzeitung der Business School hat eine Sonderausgabe zu Depressionen herausgebracht. Ein Student beschreibt seine Versagensängste, weil er im Seminar nichts kapiert. Elana Green philosophiert, wie versnobbt und elitistisch ihre Kommilitonen sind.
So schlimm, wie es scheint, ist die Situation der Wirtschaftsstudenten noch nicht. Immerhin ist es Harvard. Aber es ist wohl auch kein Zufall. Die Finanzkrise in den USA hat auch die berühmte Wirtschaftsfakultät erreicht. Vier von zehn Absolventen wechselten früher an die Wallstreet. Heute werden Vorlesungen angeboten mit dem Titel: "Wie man den Finanzsektor vor sich selbst rettet."
Die Studenten macht es nervös. "Das war einmal", schnellt es aus ihnen heraus, wenn man sie nach Bankjobs fragt. "Das ist erstmal vorbei." Hu, ein Amerikaner taiwanesischer Abstammung, berichtet, dass über nichts anderes geredet wird. "Wir diskutieren im Seminar mit den Professoren über Jobs, wir reden auf den Fluren darüber. Ich bin froh, dass ich erst 2010 meinen Abschluss mache." Manche drücken es auch weg. "Krise, welche Krise?", fragt einer, ohne den Kopf aus dem Laptop zu heben. "Ich habe im Sommer bei einer Bank gejobbt. Wenn ich fertig bin, gehe ich zu Boston Consulting. Die Europäer haben übrigens das gleiche Problem. Ich weiß nicht, ob das den Ruf von Harvard Business berühren wird."
Im Seminar würde der trotzige Mann damit nicht glänzen. Das superedle Ambiente, in dem er sich befindet, konnte 1924 erbaut werden, weil ein gewisser George F. Baker fünf Millionen Dollar als Spende übergab. Baker war Philantrop und einer der ersten Teilhaber der First National Bank an der Wallstreet. Heute heißt sie Citi-Bank und ist eine der größten Banken der Welt. Die Harvard Business School ist praktisch eine Tochter von Wallstreet. Einer Straße, die heute für Pleiten und Korruption steht. Die Citibank mit einer Bilanzsumme von weit über 200 Milliarden Dollar, gilt noch nicht als gesichert. Die Investmentbank Lehman Brothers mit 24.000 Beschäftigten ist bereits pleite. Der jüngste Skandal kommt von einem gutbeleumundeten Immobilienhändler namens Bernhard Madoff, der einen 50-Milliarden-Dollar-Phantasiefonds aufgelegt hat - in den selbst Banken blind vertrauend einbezahlt haben.
"Die Idee, Profit damit zu machen, indem man Geld von hier nach da transferiert, ist vorbei", sagt der Scott Holley. Der 30 Jährige ist Businessstudent und macht kommendes Jahr seinen Abschluss. Er beobachtet, wie er sagt, den Markt sehr genau, denn er will sich ein Unternehmen kaufen. Holley hat selbst im Finanzsektor gearbeitet. Er ist sich aber noch nicht sicher, wer den Fehler eigentlich gemacht hat. "Das ist alles sehr komplex und schwer zu durchschauen."
Dass Harvardleute etwas nicht durchschauen ist ungewöhnlich. Aber es gilt inzwischen sogar für die eigenen Finanzen. Die Krise ist nicht nur draußen, sondern mitten in der Uni. Harvard ruhte auf einem Stiftungsvermögen, das so groß ist wie das Bruttosozialprodukt kleinerer Staaten: 37 Milliarden Dollar. Bisher. Acht Milliarden Dollar sind bereits verschwunden. Das letzte Quartal ist dabei noch nicht eingerechnet - es ist das miserabelste, das der halbe Crash an der Wallstreet bringen wird. Die Fondsmanager der hauseigenen Harvard Management Company versuchen noch eilig Fonds mit faulen Krediten loszuschlagen.
"Das sind selbstverständlich keine Notverkäufe", beruhigt der Börsenexperte Dan Primack. "Ein Notverkauf wäre es, wenn du dir holst, was du kriegen kannst. Harvard ist kein hoffnungsloser Fall."
Harvard und hoffnungsloser Fall? Eine solche semantische Kombination existierte bisher nicht. Nun führt sie bisweilen zu Panik. "Ich will meinen Master und raus hier", sagt Wirtschaftsstudentin Marina Sanchez, 24. "Die Kürzungen wirken sich auf meinen Stundenplan für 2009 aus. Alles wird enger, es gibt weniger Angebote". Sarah, 17, will sich gerade bewerben in Harvard, sie sagt: "Hey, es ist Harvard! Andere Unis besitzen überhaupt nicht so viel Kapital wie Harvard verloren hat."
Harvards Fakultäts- und Institutsmanager müssen das erst lernen. "Die Manager aus der Zentrale sehen jedesmal blasser aus", berichtet der Finanzverwalter eines Instituts. "Sie haben ein riesiges Loch, und sie wissen einfach nicht, was sie tun sollen." Kein Angestellter nennt seinen Namen. Das ist so neu an der stolzen Universität wie die Sparvorschläge revolutionär sind. Gehälter werden eingefroren. Die prägenden Fakultäten wie die Medical School, die Fakultät für "Arts and Science" oder die John F. Kennedy-School für Regierungslehre versuchen ein 15 Prozent-Minus zu erwirtschaften -- ohne zu wissen, wie viel tatsächlich zu amputieren ist. Der Umzug eines Teils der Uni auf die andere Seite des Charles-River ist so gut wie gestrichen.
Harvard-Präsidentin Drew Faust schreibt mit schöner Regelmäßigkeit Emails an die Uniangehörigen. Darin heißt es, "harte Entscheidungen sind jetzt nicht mehr vermeiden". Oder dass künftig nicht mehr jeder graduate student mit Stipendien rechnen kann. Aber auch Faust ist nicht wirklich aufschlussreich, sie kann es nicht sein. Denn ihre Institution ist nicht etwa eine Universität mit Finanzprofis - sondern in Wahrheit eine Vermögensverwaltung mit angeschlossener Uni.
Das Herz der Finanzer ist die Harvard Management Company, praktisch eine Investmentbank. Sie wurde Anfang der 90er Jahre gegründet, um den Geldwettlauf gegen die Elite-Uni Yale nicht zu verlieren. Anfangs waren es zehn Mitarbeiter, heute sind es 200. Die unieigenen Börsenhändler haben der Harvard Uni zwar märchenhafte Zuwächse ihres Stiftungsvermögens von 5,8 Milliarden Dollar Ende der 80er Jahre auf zuletzt 37 Milliarden Dollar beschert. Sie haben sie aber auch abhängig gemacht - abhängig von Börsenprodukten, die ein schnelles Hoch versprechen, nun aber diskreditiert sind: Derivate und private equity-Fonds. Als die Harvard Management Company ihr Arbeit begann, hatte die Uni konservative Anlagen. Schon 1995 warnte das Magazin Forbes, dass "Harvard knietief in Derivaten steckt."
Die Derivate sind für den Fast-Zusammenbruch des Weltfinanzsystems mitverantwortlich -- für Harvard waren sie das produktivste Kapital, mit einem return on investment von zeitweise fabelhaften 23 Prozent. Nun aber sind sie Verlustbringer, moralisch wie finanziell. In den wöchentlichen Treffen der financial officers machen längst andere Zahlen die Runde. "Es sind nicht acht Milliarden Dollar Verlust, sondern wahrscheinlich 16 Milliarden", sagt ein Institutsgeschäftsführer. Ratingagenturen schätzen, dass Harvard ein Drittel seines Kapitals einbüßen wird, das wären "nur" 13 Milliarden Dollar.
Es gab an der Uni schon immer bohrende Fragen nach der Arbeit der Harvard Management Company. Professoren ärgerten sich, dass sie 250.000 Dollar im Jahr verdienten - während der Company-Boss jungen Aktienhändlern Prämien von bis zu 35 Millionen Dollar zahlte. Der Ökonomie-Professor Jeffrey Sachs fragte, "es ist ja gut, so viel Geld zu haben, aber zu welchem Zweck bloß?"
Noch führt die Harvard-Intelligenz die Debatte nicht öffentlich. Wenn die Verluste aber auf dem Tisch liegen, wird sich Harvards wahres Kapital zu Wort melden. Der Medizinprofessor Paul Farmer machte schon mal den Anfang. "Es geht nicht darum, eine neue Lehman-Brothers Bank aufzubauen. Verfolgen Sie ihren Traum von einer fairen Bildung!", sagte der weltweit anerkannte Anti-Tuberkolose-Aktivist über die bankrotte Investment Bank. Farmer sagte das als Antwort an einen kritischen Wirtschaftsstudenten - aber er meinte jemanden anderen: Präsidentin Drew Faust - die mit ihm auf dem Podium saß.
Auch an der Business-School scheint man jetzt mit dem Umdenken zu beginnen. "Ich war sozusagen Teil des Problems", scherzt Student Scott Holley über seinen früheren Job bei einer Investmentbank. "Die Firma, die ich mir jetzt kaufen werde, soll aber reale Werte aufbauen."
Zwei prominente Geläuterte hat die Business School ohnehin aufzubieten. US-Finanzminister Henry Paulson und Präsident George W. Bush haben einst dort ihren Abschluss gemacht. Sie werden in die Geschichte eingehen -- als die größten Verstaatlicher, die es jemals gegeben hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!