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Wirtschaftskrise in TürkeiMit dem Rücken zur Wand

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der Türkei droht der Staatsbankrott. Präsident Erdoğan steht unter Druck – und schaltet mal wieder auf Angriff.

Verhaftung einer Gewerkschafterin am 1. Mai in Istanbul Foto: Emrah Gurel/ap

W er meint, eine Krise wie die Corona-Epidemie müsste dazu führen, dass eine Gesellschaft zusammenarbeitet und ihre Spaltung überwindet, sieht sich derzeit in der Türkei mit dem kompletten Gegenteil konfrontiert. Nie war der Ton schärfer, wurde der Hass auf die Opposition so explizit formuliert wie derzeit. Präsident Erdoğan redet in einer Ansprache an die Nation darüber, dass der Geist der Opposition jetzt endgültig ausgerottet werden muss, und in einem kleinen TV-Sender eines regierungsnahen Medienkonzerns wird ganz offen darüber gesprochen, wie mit dem politischen Gegner gewaltsam abgerechnet werden soll und der eigene Präsident mit allen Mitteln an der Macht gehalten werden muss.

Und das alles, weil eine bekannte Oppositionspolitikerin in einem Nebensatz gesagt hatte, die Regierung sei am Ende und werde so oder so verschwinden. Dankbar bläst die Regierung diesen Satz zu der Behauptung auf, die Opposition bereite einen neuen Putsch vor und man müsse sich dagegen wappnen. Dabei kommt die Gefahr von ganz anderer Seite. Das Coronavirus, gegen dessen Bedrohung der Gesundheit der BürgerInnen man sich bis jetzt noch einigermaßen behauptet hat, hat die sowieso schon angeschlagene Volkswirtschaft der Türkei fast völlig zum Absturz gebracht. Präsident Erdoğan steht mit dem Rücken zur Wand. Das Land kann voraussichtlich in diesem Jahr seine Schulden nicht mehr bedienen und steuert, wenn nicht noch Hilfe von außen kommt, faktisch auf einen Staatsbankrott zu.

Damit wäre die AKP nach 19 Jahren an der Regierung tatsächlich am Ende. Aber Erdoğan hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er, wenn er seine Macht bedroht sieht, immer in den Angriffsmodus schaltet. So auch jetzt. Die Opposition, dunkle Mächte von außen und am besten beide zusammen bedrohen die Türkei und müssen vernichtet werden.

Vernichtet werden am Ende der letzte Rest an Demokratie und der bescheidene Wohlstand, den sich viele TürkInnen in den letzten Jahren hart erarbeitet haben.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • gute Einleitung - nur der gesamte Artikel fehlt

    • @3009nico:

      Die Türkei hat ein relativ hohes Außenhandelsdefizit, im 1. Quartal 2020 lag es bei 4,86 Milliarden Euro, was eine Verdreifachung zu letztem Jahr entspricht und das seit vielen Jahren.

      www.hurriyet.de/ne...039_143536496.html

      Die Türkei finanziert das durch Kapital aus dem Ausland, das durch hohe Zinsen in Land gelockt wird, der Leitzinz der türkischen Notenbank beträgt aktuell 11,25 %, auch die Unternehmen sind oft nicht in Lira verschuldet.

      Diese Schulden und die dazugehörigen Zinsen müssen größtenteils in Dollar und Euro zurückgezahlt werden, ist eine ähnliches Grundproblematik wie in Argentinien.

      Der Wechselkurs der Lira zum Dollar betrug Anfang des Jahres noch 5,95 TRY=1 USD, gestern Abend waren es 7=1.

      Also hat sich die Rückzahlungssumme und die Zinsen um 15% erhöht.

      Warum ist das so, die türkische Wirtschaft lief schon vor Corona nicht mehr rund, aber jetzt ist sie in eine Krise gestürzt.

      Die beiden wichtigsten Devisenbringer der Türkei, der Tourismus der 12% des gesamten türkischen BIP beisteuert und die Automobilindustrie, das ist vielen nicht so bekannt, aber es wurden 2018 über 1 Millionen Fahrzeuge in der Türkei gebaut, Toyota, Honda, Opel, Fiat, Kia, Renault und Peugot haben alle Werke in der Türkei und es gibt viele Zulieferer, sind aufgrund von Corona praktisch kollabiert. Ob es überhaupt noch zu einer einigermaßen laufenden Saison im Tourismus kommt, ist komplett offen, die Türkei hofft aktuell auf 40% der Gäste von letztem Jahr, ob die kommen ist aber völlig offen.

      Wie sich Erdogan, die Regierung und Justiz verhalten ist natürlich auch Gift für den Wirtschaftsstandort.

      Nun kommt ein weiteres Problem der türkischen Schulden zum tragen, sie sind größtenteils kurzfristiger Natur.

      In den nächsten 12 Monaten müssen 172 Milliarden Dollar an Tilgung und Zinsen durch den Staat und die Unternehmen geleistet werden, die Dollarbestände und Goldvorräte betragen aktuell 90 Milliarden.

      • @Sven Günther:

        Nun ist die Sorge vieler Investoren, wenn wenig Geld reinkommt, wie wollen die ihre Schulden bezahlen?

        Also ziehen sie ihr Geld aus Angst oder weil sie es selbst in der Krise benötigen ab.

        Alleine im 1. Quartal waren das 6,5 Milliarden Dollar.

        Die Türkei braucht aber dieses Geld um ihre Importe und Altschulden zu zahlen.

        Wenn die Türkei nicht sinnig erklären kann und das tut Berat Albayrak, Finanzminister und Schwiegersohn von Erdogan, nicht, wie sie diese Lücke schließen kann, IWF Hilfskredite hat Erdogan abgelehnt und nebenbei den IWF beleidigt, dann werden die Investoren der Türkei nicht mehr genügend neue Mittel zur Verfügung stellen um den Schuldendienst aufrechtzuerhalten.

        Das Wirtschaftssystem beruht aber darauf, das ständig frisches Geld reinkommt und dann sieht es in der Türkei finster aus.

    • @3009nico:

      Stimmt, geht mir auch so.