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WirtschaftSteter Tropfen

Das Chemieunternehmen Solvay hat jahrelang in Bad Wimpfen die Ewigkeitschemikalie TFA tonnenweise in den Neckar verklappt. Anfang 2026 soll damit Schluss sein.

Hier leitet Solvay TFA in den Neckar ein. Foto: Julian Rettig

Von Gunter Haug

Einzig und allein sei der plötzliche TFA-Stopp „mit einer strategischen Ausrichtung des Produktportfolios“ und einer damit einhergehenden „Sicherung seiner langfristigen Wettbewerbsfähigkeit“ zu erklären, schwurbelt die Presseabteilung des belgischen Konzerns Solvay. Dass es mit einer mehr und mehr beunruhigten Öffentlichkeit zusammenhängt, die via Kontext mit Informationen versorgt wurde, mit denen das Unternehmen sowie zuständige Rathäuser, Landratsämter und Regierungspräsidien lieber hinter den Berg gehalten hätten, sagt sie natürlich nicht.

Vor einem Jahr berichtete Kontext erstmals über Solvay, das in Bad Wimpfen 24 Kilo des Giftstoffes täglich in den Neckar leitet, rund acht Tonnen im Jahr. Mit Genehmigung des Regierungspräsidiums Stuttgart. Anfang des Jahres ploppten erstmals alarmierende TFA-Werte in den Gewässern rund um Bad Wimpfen auf (Kontext berichtete exklusiv). Und inzwischen ist auch bekannt, dass das Unternehmen über Abgase TFA in die Luft bläst.

Die Chose wurde offenbar selbst der Konzernzentrale im fernen Brüssel zu heiß. Ergebnis: Vollbremsung! Nicht nur, dass die TFA-Ableitung jetzt innerhalb weniger Wochen auf null heruntergefahren wird: In Bad Wimpfen verzichtet Solvay ab Anfang 2026 komplett auf die Herstellung von Produkten, die irgendwie irgendetwas mit TFA zu tun haben. Und das ist eine ganze Menge: von sogenannten Pflanzenschutzmitteln für die Landwirtschaft bis zu pharmazeutischen Produkten. Und mehr noch: Konzernweit will man bis dahin TFA aus dem Portfolio völlig eliminieren.

Der Tropfen zu viel

Das ist natürlich auch vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass sich sowohl der Konzern als auch die zuständigen Aufsichtsbehörden noch bis vor wenigen Tagen um keinen Millimeter bewegten, als Umweltverbände wie der BUND und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) vehement gefordert hatten, die Einleitung der Ewigkeitschemikalie in den Neckar müsse sofort gestoppt werden. Man bewege sich in Sachen Umwelt- und Gesundheitsschutz absolut im grünen Bereich. Ein Verbot der Verklappung sei juristisch nicht durchsetzbar, argumentierte die baden-württembergische Umweltministerin Thekla Walker kürzlich mit einem genervten Schulterzucken auf entsprechende Vorhaltungen. Sie sei ja auch gegen diese Ewigkeitschemikalien, aber leider, leider könne man da nichts machen. Man sei ja schließlich ein Rechtsstaat, und deshalb seien ihr die Hände gebunden. Das war der letzte traurige Tropfen, der das Fass bei DUH und BUND endgültig zum Überlaufen brachte: Beide Verbände leiteten unabhängig voneinander eine Klage gegen das Regierungspräsidium Stuttgart in die Wege.

Entwarnung? Noch lange nicht!

Demnächst ist also Schluss mit der Produktion in Bad Wimpfen, bei der TFA anfällt, womit freilich 100 von 300 Arbeitsplätzen in Bad Wimpfen wegfallen werden. Diese alle mit anderen Aufgaben zu kompensieren, sei nicht möglich, heißt es aus Brüssel. Man sei aktuell aber „in intensiven Verhandlungen mit dem Betriebsrat, um sozial ausgewogene Lösungen zu finden.“ 25 Millionen Euro werde man dafür in die Hand nehmen. Außerdem werde der Standort durch die Verlagerung der konzernweiten Zentrale im Bereich Aluminiumlöten von Garbsen in Niedersachsen nach Bad Wimpfen aufgewertet. Was wiederum 40 hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffe – die freilich dann in Garbsen wegfallen.

Kein TFA mehr also, das via Bad Wimpfen in den Neckar fließt und in die Luft geblasen wird: Ende gut, alles gut? Von wegen, sagt Andrea Hohlweck, Geschäftsführerin des BUND-Regionalverbands Heilbronn-Franken. Bei aller Freude über diesen Etappensieg, der Kampf gegen die Tausenden verschiedenen PFAS-Ewigkeitschemikalien sei noch lange nicht zu Ende, denn: „Die gesamte Stoffgruppe birgt ein enormes Risikopotenzial für Mensch und Umwelt. Und auch was die TFA-Kontaminationen anbelangt, müssen wir – auch hier vor Ort – weiter dranbleiben. Schließlich wurde das Gift jahrzehntelang in die Umwelt eingebracht.“ Außerdem werde gerade erst Thema, welche Rolle die Verschmutzung über die Luft spielt, also die Abgasfahnen, die über das Bad Wimpfener Stadtgebiet oder die Felder wehten.

Auf Langzeitfolgen verweisen auch die Trinkwasserversorger am unteren Neckar mit Sorge. Denn die Unmengen an TFA, die über Jahre ins Trinkwasser gesickert sind, kommen erst ganz allmählich zum Vorschein: „Die Bugwelle hat uns noch lange nicht erreicht, das wird noch Jahre dauern.“ Und nach wie vor gibt es keine Möglichkeit, TFA aus dem Wasser zu entfernen – man kann es nur verdünnen.

Für Entwarnung ist es also noch viel zu früh. Nach wie vor regnen in Deutschland 80 Tonnen TFA pro Jahr auf uns herab, über 200 Tonnen TFA gelangen jährlich durch Pestizide in die Umwelt und reichern sich im Boden und in den Gewässern an. Die TFA-Konzentrationen nähern sich damit den unverbindlichen Leitwerten immer bedrohlicher an, die nach Meinung von Expert:innen ohnehin viel zu sehr aufgeweicht worden sind.

Inzwischen ist auf europäischer Ebene das Problem der Ewigkeitschemikalien im Trinkwasser erkannt worden und die gesundheitlichen Langzeitfolgen werden mittlerweile um ein Vielfaches kritischer gesehen, als dies bislang der Fall war. Es wird kein Weg daran vorbeigehen, einen gesetzlichen TFA-Grenzwert auf europäischer Ebene zu definieren. Der wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein Vielfaches niedriger ausfallen als alle bisherigen unverbindlichen Empfehlungen.

Und dann wird es in Sachen Trinkwasser richtig teuer werden. Dann wird – wie einst bei den Kohlenwasserstoffen oder im Asbestskandal – die Frage aufkommen, wer die horrenden Kosten bezahlen soll. Gilt dann noch das Verursacherprinzip? Beziehungsweise: Kann man überhaupt nachweisen, wer wann in welcher Konzentration für welche Kontamination verantwortlich ist und zur Kasse gebeten wird? Oder wird es genauso laufen wie bei der TFA-Verklappung in den Neckar, wo laut Umweltministerin „leider, leider nichts zu machen“ war.

TFA und die ganze Gruppe der PFAS-Ewigkeitschemikalien werden noch lange Thema sein. Selbst wenn Solvay kein TFA mehr produziert, heißt das schließlich nicht, dass es andere nicht tun – wo auch immer auf der Welt. Und es heißt auch nicht, dass es von heute auf morgen keine Abnehmer für solche Produkte mehr geben wird. Ganz im Gegenteil. Denn solange die Wirtschaftlichkeit oberste Priorität hat und sogar im Koalitionsvertrag von CDU und SPD explizit die Rede davon ist, dass ein Verbot von PFAS nicht infrage kommt, so lange bleibt auch der Pharmakologe und TFA-Forscher Michael Müller von der Universität Freiburg äußerst skeptisch: „Der Ausstieg von Solvay ist ein moderner Pyrrhussieg.“ Der Umgang mit TFA zeige, dass der Mensch offensichtlich nicht in der Lage sei, sein katastrophales Wirken zu erkennen.

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