Wirtschaft: Alles so schön grün hier
Die schwäbische Autoindustrie wird grün. Glaubt Landesverkehrsminister Winfried Hermann, der Daimler-Chef Källenius & Co. in einem Buch versammelt. Die Bosse sähen Klima und Kommerz als gleichwertig an, auch weil ihre Kinder bei Fridays for Future seien.

Von Josef-Otto Freudenreich
Wahrscheinlich ist es nirgendwo so heilig, das Blechle, wie im Autoland Baden-Württemberg. Debatten darüber nehmen deshalb gerne den Charakter von Glaubenskriegen an, und jene, die es wagen, das Sakrale anzuzweifeln, stehen im Ruf, gottlose Gesellen zu sein. Winfried Hermann, 71, gilt als solcher.
Als junger Abgeordneter ist er auf Rollschuhen in den Landtag gekommen, später mit dem Fahrrad und neuerdings nennt er einen Vollelektriker Kia EV6 (Nacktpreis 46.990 Euro) sein Eigen. Zu allem Übel ist der Grüne auch noch baden-württembergischer Verkehrsminister geworden, was bei CDU, SPD und der FDP zuverlässig zu Schnappatmung führte. Für sie war und ist er ein „Autohasser“, nur noch übertroffen durch seine Abneigung gegen das Immobilienprojekt Stuttgart 21, das er als „größte Fehlentscheidung in der Eisenbahngeschichte“ bezeichnet hatte. Das hat ihm nicht geschadet. Der Rottenburger Lehrer wurde zum wohl bekanntesten Minister im Kabinett Kretschmann.
Jetzt tritt er – Achtung – zur Rettung des Autos an. Es gehe nicht anders, glaubt er, angesichts der dramatischen Erderwärmung. Der Kampf dagegen brauche mehr Tempo. Die Bahn, ein Ausfall. Der ÖPNV, zu viel Lücke. Das Fahrrad, zu mühsam. Vom Reisen in der Luft und auf dem Wasser ganz zu schweigen. Und das Wirksamste – weniger Fahrzeuge, die die meiste Zeit Stehzeuge sind – geht aus kapitalistischen Wachstumserfordernissen nicht. Das hat schon sein Chef Kretschmann schmerzlich erfahren müssen, als er das mit der reduzierten Autozahl vortrug und von deren Herstellern mächtig eins auf die Mütze bekam.
„Extrem klares Bekenntnis“ zum Klimaschutz
Natürlich will Hermann nicht den Diesel oder den Benziner am Leben halten. Ein umweltfreundliches Vehikel soll es sein. Batterieelektrisch, mit Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen („E-Fuels“) betrieben. Ganz vorne steht das E-Mobil, das ihm als geeignetstes Auto erscheint, das Treibhausgas CO2 zu reduzieren. Zu 30 Prozent, sagt er, stamme es in Baden-Württemberg aus dem Verkehrssektor. Und vorne mit dabei seien – Obacht – Daimler, Porsche, Bosch und ZF Friedrichshafen. „Alle Bosse bekennen sich zum E-Auto“, betont der Minister. „Alle legen ein extrem klares Bekenntnis zum Klimaschutz ab.“ Nein, Greenwashing sei das nicht.
Woher er das weiß? Er entnimmt es den Aufsätzen, die sie ihm für ein Buch geschrieben haben oder haben schreiben lassen. Es trägt den Titel „Antriebswende“ und wird von ihm herausgegeben. Als Autoren zeichnen Ola Källenius (Mercedes-Benz), Martin Daum (Daimler Truck), Michael Steiner (Porsche), Stefan Hartung (Bosch), Holger Klein (ZF). Die Hautevolee der baden-württembergischen Industrie. „Sie haben den Hebel umgelegt“, betont der grüne Altlinke.
Das sei die „Knüllerbotschaft“, die ihm wichtig ist, um wegzukommen vom Niveau des Stammtischs und der Talkshows. Er höre immer nur von Problemen, erzählt Hermann. Woher kommen die Ressourcen für die Batterien? Welche Umweltschäden entstehen? Was ist mit der Reichweite? Wo kann man laden? Ist es nicht nachhaltiger zu warten und ein altes Fahrzeug zu nutzen, bis das Wasserstoffauto kommt? Und überhaupt: Woher beziehen die Chinesen den Strom? Aha, aus Kohlekraftwerken. O-Ton Hermann:
„Wir können nicht länger das eigene Nichtstun mit dem ausbleibenden Tun der andern entschuldigen.“
Wir erinnern uns an das legendäre Diktum von Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU), anno 1969: „Ich sage nur China, China, China.“ So weit ist es wieder. Sind die Autobosse nur wegen China, wo der Stromer praktisch Pflicht ist, so grün? Weil sonst der weltgrößte E-Automarkt wegbricht? Hermann meint, selbstverständlich sei das ein Grund. Ohne China keine Schnitte. Auch die EU mit ihrem Verbrennerverbot ab 2035 habe gewirkt. Aber eben nicht nur. „Kommerz und Klima sind gleichwertig in diesen Unternehmen“, sagt der Grüne. „Das ist neu.“ Källenius sei kein Zetsche und Zetsche kein Schrempp, vergleicht er die Vorgänger des Schweden.
Papa, und was machst du?
Und noch einen Grund führt er an: Bei Managern zu Hause sind Kinder, die bei „Friday for Future“ sind und Fragen haben: Papa, wir haben nur einen Planeten. Und was machst du? Das befördere ein „neues Bewusstsein“ bei den Chief Executive Officers, vermutet der gelernte Pädagoge und verweist auf eine Passage in Källenius‘ Text, in der jener als „wichtigste Aufgabe unserer Generation“ formuliert:
„Wir wollen unseren Beitrag leisten für den Wandel hin zu einer CO2-neutralen Gesellschaft. Das ist angesichts des Klimawandels unsere Verpflichtung als verantwortungsvolles Unternehmen – und das Herzstück unserer Strategie.“
Ab Mitte dieser Dekade, verspricht der Vorstandschef, würden alle neuen Fahrzeugarchitekturen rein elektrisch sein, und jetzt hofft der Verkehrsminister, dass darunter auch kleine Mercedesse sind.
In diesem Sinne argumentieren alle. Jeder will nachhaltig sein, klimaneutral werden und strotzt vor Zuversicht. „Packen wir‘s an“, sagt Källenius. „Wegducken ist keine Lösung“, assistiert Bosch-CEO Stefan Hartung und setzt auf Vielfalt. E-Antrieb, Wasserstoff, Brennstoffzelle, Hybrid, Verbrenner, ja auch auf den, weil er beispielsweise in Brasilien noch lange „vorherrschend“ bleiben werde. Jede einzelne dieser Technologien müsse optimal bedient werden, weil die Herausforderung größer nicht sein könne. O-Ton Hartung:
„Die Bedrohung durch den Klimawandel ist so groß, dass wir keine technische Lösung von vornherein ausschließen sollten. Jedes Gramm CO2 zählt – und Technologie ist einer der wichtigsten Hebel. Wir sollten ihn schnell, konsequent und mit seinem ganzen Potenzial einsetzen.“
Da mag Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), nicht zurückstehen. Sie preist ihre Mandantschaft über alle Maßen. Selbige sei „fest entschlossen“, die Transformation zu einer „Erfolgsgeschichte“ zu machen. Die deutschen Hersteller böten schon heute 130 E-Modelle weltweit an und die Palette werde ständig erweitert. Als frühere CDU-Staatsministerin bei Angela Merkel kann sie sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass die gegenwärtige Politik zu viel behördlichen Schwergang hat, zu wenig in Ladestationen investiert, und die Ampel das Liefern vergisst. Das muss auch einmal gesagt werden.
Auch Noch-IGM-Chef Zitzelsberger denkt groß
Am Bodensee reicht der Horizont weiter. Dort hat die ZF Friedrichshafen ihren Sitz, ein international agierender Technologiekonzern mit 160.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 43,8 Milliarden Euro. Im Gegensatz zu seinen Kollegen spart Vorstandschef Holger Klein mit Lobpreisungen. Er versteht die Skepsis beim Publikum und arbeitet mit bescheidenen Zahlen. Beispiel: Derzeit sind in Deutschland etwa eine Million Elektro-Pkw registriert – zwei Prozent der gesamten Flotte. Fazit: Trotz üppiger Förderung, trotz immer attraktiverer Modelle, trotz eines sechs Milliarden teuren Masterplans zur Ladeinfrastruktur hängt die deutsche Mobilität weiterhin am Benzin- und Dieselmotor. O-Ton Klein:
„Die tiefverwurzelte Automobilkultur führt dazu, dass der Wandel hin zu nachhaltigeren Elektrofahrzeugen, Sharing-Modellen, Fahrrädern oder öffentlichen Verkehrsmitteln teils als Bedrohung statt als sinnvolle Bereicherung der vernetzten Mobilität empfunden wird.“
Eine erfrischend klare Analyse, die sich lohnt zu lesen.
Das gilt auch für das Interview mit Roman Zitzelsberger. Bekanntermaßen hat der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg jüngst angekündigt, seinen Job zum März 2024 aufzugeben und sich etwas ganz Neues zu suchen. Sein schriftlich geführtes Gespräch mit Herausgeber Hermann ist also noch als IGM-Papier zu werten, entsprechend markig formuliert. Klimaschutz könne es nur in Kombination mit sozialer Gerechtigkeit geben, schreibt der Gewerkschafter, und dann rufe er Unternehmen, Politik und Forschung zu: „Lasst uns mit den Beschäftigten zusammenkommen. Wir als IG Metall sind bereit.“ O-Ton Zitzelsberger:
„Warum sollten nicht auch in Zukunft die besten, jetzt digitalen und elektrisch angetriebenen, Autos auf der Welt aus Baden-Württemberg kommen? Think big.“
Ob das die „Knüllerbotschaft“ im Buch schmälert, wenn er nicht mehr IGM-Chef ist? Könnte das Buch darunter leiden? Nein, antwortet der Minister, Zitzelsberger müsse da nichts zurücknehmen, er genieße „hohen Respekt“ in der Branche, auch als Vizevorsitzender im Aufsichtsrat bei ZF. Er könne sich ihn auch als Personalvorstand in einem Mobilitätskonzern vorstellen.
Winfried Hermann (Hrsg.): Antriebswende. Strategien, Positionen und Meinungen zur neuen Mobilität. Erschienen am 8. Dezember 2023 im Molino Verlag. Gebundene Ausgabe, 304 Seiten, 24 Euro.
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