„Wir ziehen mit dem Spaten...“

■ Die Universität Oldenburg würde gerne Carl-von-Ossietzky-Universität heißen: Darf sie aber nicht. Eine ehemalige Studentin der Uni hat zum 50. Todestag des Widerstandskämpfers eine Biografie vorgelegt.

27. Juni 1975: Handwerker entfernen unter bewaffnetem Polizeischutz den Schriftzug „Carl von Ossietzky -Universität“ vom Universitätsgebäude in Oldenburg. 1988 erinnert nur noch ein unscheinbarer Gedenkstein an den Kampf vieler Studenten und gleichgesinnter Professoren, die Universität nach dem Widerstandskämpfer Carl von Ossietzky zu benennen. Kürzlich sollte in Bremerhaven eine Straße nach Ossietzky benannt werden, doch die Namensgebung scheiterte an dem Protest vieler Bürger, nicht weil „sie etwas gegen Ossietzky haben“, beileibenicht, aber was der Bauer nicht kennt, frißt er eben nicht. So heißt die Universität Oldenburg weiterhin Universität Oldenburg und die Straße in Bremerhaven heißt weiterhin Ostmarkstraße. Die Welt ist wieder im Gleichgewicht.

Immerhin gibt es an der Uni Oldenburg seit zwei Jahren eine Forschungsstelle, die an einer kritischen Ossietzky-Ausgabe arbeitet, und es gibt das jährliche Ossietzky-Colloquium. Es gibt auch Studenten, die über Ossietzky staatsarbeiten oder promovieren, und ehemalige Studenten, die Bücher über Ossietzky schreiben, so wie Elke Suhr, die zum 50. Todestag von Ossietzky (4.5.1938) eine Biografie im Kiepenheuer & Witsch-Verlag

(29,80 Mark) veröffentlicht hat.

Elke Suhr zeichnet ein unbekanntes Ossietzky-Bild, das, wie sie sagt, den Menschen Ossietzky zeigen will, „mit seinen Idealen und Illusionen“. Grundlage für Suhrs über ein Jahrzehnt dauernde Recherche sind seine Artikel in linken Zeitungen und Zeitschriften der Weimarer Republik und der bislang unveröffentlichte Nachlaß von Carl und Maud von Ossietzky, den die Tochter Rosalinde von Ossietzky-Palm der Uni Oldenburg übergeben hat.

Darüberhinaus hat die Autorin zahlreiche überlebende Zeitgenossen und ehemalige „Moorsoldaten“ interviewt und die Überlieferungen von Mitarbeitern und Freunden von Ossietzky ausgewertet. Im Mittelpunkt des Buches stehen die publizistischen Arbeiten von Ossietzky (1919-1933). Aus unzähligen Artikeln hat Elke Suhr Aussagen von Zeitgenossen herausgefiltert, beschreibt Ossietzkys Verhältnis zu den Parteien, zur Justiz, zum Militär ebenso wie die Rolle der Linken aus seiner Sicht, seine Einschätzung des Nationalsozialismus, sein Engagement in der „Weltbühne“.

Ossietzky war ein Beobachter der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Deutsch

land, griff zentrale Probleme in seinen Artikeln auf, um sie später auch manchmal zu revidieren. So beurteilt er 1932 in „Rechenschaften“ seine Mitarbeit in der „Nie-wieder-Krieg„ -Bewegung so: „Sie hat nur eine knappe Episode in meinem Leben bedeutet und ich bin mit den meisten von den Führern seitdem verzankt“. Seine kritische Haltung der Friedensbewegung gegenüber richtet sich gegen die Führer innerhalb der Bewegung und nicht gegen die Idee des Pazifismus. Mit einer starken Arbeiterbewegung, so glaubte er bis zum Ende der Weimarer Republik, ließe sich die Macht der Militärs und der Rüstungsindustrie brechen, dann wäre der Weg zu seinem „Sehnsuchtsland Republik“ geebnet. Noch am 17.2.1933, kurz bevor er verhaftet wird, erklärt er: „Die Flagge, zu der ich mich bekenne, ist nicht mehr die schwarz -rot-goldene Flagge dieser entarteten Republik, sondern das Banner der geeinten antifaschistischen Bewegung“.

Ossietzky will nach dem Scheitern seiner eigenen „Republikanischen Partei“ keiner Partei mehr angehören. Er stellt sich zwischen die Fronten, übernimmt die Position des Außenseiters. Im Januar 1927 fragt er in der „Welt

bühne“: „Was wäre die Republik ohne die spornende und peitschende Kraft verhöhrter und gemiedener Außenseiter?“ und antwortet selbst: „Ohne sie hätte es keine Aufdeckung der Fememorde gegeben, keine Kontrolle der Reichswehr, keine Verständigungspolitik“. Als Unabhängiger will er die „Realpolitiker“ der großen Parteien „anspornen“, im Sinne der ursprünglichen republikanischen Idee zu handeln.

Tochter Rosalinde urteilt später über die „Weltbühnenzeit“ ihres Vaters: „Das Blatt hat mir meinen Vater genommen und machte meine Mutter krank“. Maud verliert nach und nach ihre Bedeutung als „Stütze und Ratgeberin“ für ihn. In seinen erfolgreichsten Jahren als anerkannter politischer Publizist stellt er seine Familie aufs Nebengleis. Die Tochter wird in ein Internat gegeben, die Frau vereinsamt in der kleinen möblierten Wohnung.

Im letzten Teil der „Biografie“ schildert Suhr den Leidesnweg Ossietzkys in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Freunde hatten ihm geraten, ins Ausland zu fliehen, aber er wehrte ab: „Ich habe kein Türschild, und die Polizei wird mich schon nicht finden“. Trügerische Hoffnung. In der Nacht des

Reichstragsbrandes , am 28.2. 1933 wird er verhaftet, ins KZ Esterwegen deportiert. Er ist dem harten Arbeitsalltag im „Moor“ nicht gewachsen, nur die Solidarität der „Moorsoldaten“ schützt ihn vor Strafen, wenn er sein Arbeitspensum nicht schafft. Solidarität erhält Ossietzky auch aus dem Ausland. Freunde haben die „Friedensnobelkampagne für ihn begonnen, und die Weltöffentlichkeit schaut auf den Häftling, der plötzlich berühmt geworden ist“. Das Interesse für den „Schutzhaftfall Ossietzky“ zwingt die Gestapo zum Handeln: Ossietzky wird in ein Berliner Krankenhaus eingeliefert, Ärzte stellen eine schwere offene Lungentuberkulose fest.

In eine Spezialklinik darf der totkranke Gefangene erst im November 1936, wenige Tage nach der Verleihung des Friedensnobelpreises. Danach wird es still um Ossietzky. Abgeschlossen von der Außenwelt verbringt er seine letzten Lebensjahre zusammen mit seiner Frau in einem kleinen Krankenzimmer. Er stirbt am 4.5. 1938.

Lioba Meyer/Regina Keichel

Elke Suhr, Carl von Ossietzky, Eine Biografie. Kiepenheuer und Witsch-Verlag 1988, 29.80 Mark