piwik no script img

„Wir waren relativ human“

18.000 Mark Geldstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung / Angeklagter hielt Zivilstreife für Straßenräuber / Verurteilter geht in Berufung  ■ Von Barbara Bollwahn

Diether G. hatte gestern schon Bescherung. Aber nicht, weil er besonders brav gewesen wäre. Auch die Umstände der Bescherung waren nicht dazu angetan, freudigen Glanz in seine Augen zu bringen. Der Weihnachtsmann erschien ihm nämlich gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten in Gestalt des Vorsitzenden Richters Udo Scholz. Dieser verkündete ihm die unfrohe Botschaft von 18.000 Mark Geldstrafe. Ganz mit leeren Händen jedoch verließ G. nicht den Gerichtssaal: nachdem ihm bereits neun Monate vor der Hauptverhandlung der Führerschein entzogen wurde, darf er seit gestern wieder ans Steuer.

Der Computervertreter Diether G. mußte sich wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung verantworten, weil er im Dezember letzten Jahres von einer Zivilstreife angehalten worden war, die er aufgrund der „filmreifen“ Umstände für Straßenräuber hielt. Der 50jährige war gegen Mitternacht auf der Heerstraße in Staaken stadtauswärts zu seinem Wochenendhaus unterwegs gewesen. Seine Frau folgte ihm in einem zweiten Wagen. Als ihn ein Auto überholte und mit einer Haltekelle zum Stoppen aufforderte, kam er dem nach, obwohl er nicht im entferntesten glaubte, daß es sich um eine Zivilstreife handele. Aufgrund zahlreicher Zeitungsberichte über die Zunahme von Straßenüberfällen befürchtete er, Opfer eines solchen zu werden. Noch bevor der Wagen mit den drei Insassen zum Halten gekommen war, sprangen zwei junge Männer und eine Frau heraus. Diether G. war „in Hochspannung“. Für seine Frau stand fest, daß „irgendwas faul war“. Einer der Männer baute sich einige Meter vor G.s Wagen auf, mit den Worten: „Guten Morgen. Polizeikontrolle. Ihre Papiere bitte“, und hielt seinen Ausweis in die Dunkelheit. Als der Bitte von Diether G., das „zusammengefaltete Etwas“ näher ansehen zu können, nicht entsprochen wurde, sagte dieser, er werde weiterfahren.

Der weitere Verlauf blieb genauso im Dunkeln wie die Dezembernacht auf der verlassenen Straße. Die Aussagen des Angeklagten und seiner als Zeugin vernommenen Frau, die beide einen durchaus besonnenen Eindruck machten, und der Polizisten könnten nicht gegensätzlicher sein. Was für das Ehepaar nur ein Überfall sein konnte, war für die Beamten, die ihren Verdacht auf Trunkenheit überprüfen wollten, ein „eigentlich relativ humanes Vorgehen“. Die Eile sei notwendig gewesen, um sich „schnell auszuweisen“. Nachdem Diether G. seine Ankündigung loszufahren wahrgemacht hatte, rief er von zu Hause aus die Polizei an. Als diese ihm mitteilte, daß er es tatsächlich mit einer Zivilstreife zu tun gehabt habe und daß gegen ihn eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung laufe, war er „schockiert“. Streifenführer Rüdiger S. hatte behauptet, von hinten angefahren worden zu sein und nach einigen Metern von der Kühlerhaube gefallen zu sein. Seine Klage auf Schmerzensgeld wurde jedoch im Sommer vom Amtsgericht Schöneberg abgewiesen, mit der Begründung, daß S. „aus Gründen zu Fall gekommen ist, die der Beklagte nicht verursacht hat“.

Für Richter Scholz dagegen, der bis gestern morgen noch nicht wußte, wie er entscheiden würde, war es unerheblich, ob es überhaupt eine Berührung zwischen dem Streifenführer und G.s Wagen gegeben habe. Nachdem er bereits zur Eröffnung der Hauptverhandlung gesagt hatte, „Polizisten wissen immer, was sie tun“, vertrat er auch gestern die Auffassung, daß es sich um ein „normales polizeitaktisches Verhalten“ gehandelt habe. Vor der Urteilsverkündung räumte er jedoch ein, daß dieses Verfahren zeige, wie unsicher die Bevölkerung aufgrund der gestiegenen Kriminalität sei. Angesichts der überforderten Gerichte sprach er sogar von einer „Provokation für die Bevölkerung“. Der Anwalt von Diether G., Frank Teipel, der gegen das Urteil Berufung einlegen wird, sprach von einem „Stillstand der Rechtspflege“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen