„Wir sind keine Okkupanten“

Die Fusion der Unikliniken Virchow und Charité wird am Donnerstag mit einem Festakt begangen. Sie sichert trotz aller Ängste die Zukunft der Charité.  ■ Von Dorothee Winden

Von der Eigenständigkeit und der Besonderheit der Charité ist nichts übriggeblieben“, bewertet der bündnisgrüne Gesundheitsexperte Bernd Köppl die Fusion der beiden Universitätskliniken Rudolf Virchow und Charité, die am Donnerstag mit einem Festakt begangen wird.

Schon der Ort des Festaktes ist symptomatisch. Der offizielle Empfang findet im Rudolf-Virchow-Klinikum in Wedding statt. Am Abend zuvor laden die MitarbeiterInnen aber zum „Polterabend“ in die Charité. Ob viele KollegInnen aus dem Virchow- Krankenhaus kommen werden, sei aber nicht gewiß, ist zu hören.

„Wir üben im Mikrokosmos das, was im Makrokosmos noch nicht gelungen ist, das Zusammenführen von Ost und West“, sagt der frisch gekürte ärztliche Leiter der fusionierten Uniklinik, Eckart Köttgen. Doch die Fusion zu einem Mammutklinikum mit 10.000 MitarbeiterInnen und einem Jahresbudget von 1,7 Milliarden Mark gibt ein getreues Spiegelbild der Einheit ab. Die Leitung ist fest in Westhand. An der Spitze des „Universitätsklinikums Charité der Humboldt-Universität zu Berlin“ – so der neue Name – stehen seit Jahresbeginn zwei Führungskräfte aus dem Virchow-Klinikum: Dessen langjähriger Verwaltungsleiter Bernhard Motzkus wurde zum 1. Januar für acht Jahre zum Verwaltungschef der fusionierten Klinik berufen. Zum ärztlichen Leiter wählten die Hochschullehrer Eckart Köttgen, der diese Funktion bislang im Virchow-Krankenhaus innehatte. Köttgen konnte sich bei der Wahl gegen die frühere ärztliche Leiterin der Charité, Ingrid Reisinger, durchsetzen, obwohl die Charité- Professoren über mehr Stimmen verfügten als ihre Kollegen vom Virchow-Krankenhaus.

Köttgen will, und das ist ihm wichtig, die Integration der beiden Kliniken voranbringen. „Wir müssen Vertrauen schaffen. Wir sind nicht Okkupanten, sondern Partner.“ Keine leichte Aufgabe, ist doch auch Köttgens Stellvertreter, Roland Felix, ein Chefarzt aus dem Virchow-Klinikum. Nur die Pflegedirektorin kommt aus dem Osten. Denn auch der Dekan der Medizinischen Fakultät, Charité- Professor Manfred Dietl, ist ein Wessi. Ebenso die überwältigende Mehrheit der Charité-Professoren. Nur 14 der 171 Chefärzte des fusionierten Klinikums stammen aus dem Osten.

Dies ist das Ergebnis einer radikalen Neuausschreibung aller Charité-Professuren nach der Wende. Ein ausgeglicheneres Verhältnis von Ost und West wäre auch Köttgen lieber. Aber damals habe die Charité schnell konkurrenzfähig werden wollen. Ost-Wissenschaftler gerieten da ins Hintertreffen. Und auch die Chance, verstärkt Frauen zu berufen, wurde verpaßt, kritisiert der grüne Abgeordnete Bernd Köppl. Die Zahl der Professorinnen an der Charité läßt sich an zwei Händen abzählen.

Für das Virchow-Klinikum ist mit der Fusion die Aufgabe seines Namens verbunden – für die MitarbeiterInnen ein „hoch schmerzlicher Prozeß“, so Köttgen. Immerhin verlief die Zusammenlegung der medizinischen Fachabteilungen ohne größere Konflikte. Erleichtert wurde dies durch die anstehende Pensionierung von einigen Chefärzten. Unter anderem zogen die Kinderklinik und die Augenabteilung ans Rudolf-Virchow-Krankenhaus. Die Psychiatrie wurde an die Benjamin-Franklin-Uniklinik der Freien Universität abgegeben.

Die schlimmsten Befürchtungen der Charité-Belegschaft sind indessen nicht eingetroffen. Als der Senat die Fusion 1994 beschloß, hißten die MitarbeiterInnen auf dem Hochhausdach die schwarze Fahne. Der damalige Dekan Harald Mau bezeichnete den Fusionsbeschluß des Senats gar als „Vernichtungsgesetz“. Angesichts des immensen Sanierungsbedarfs der Charité wurde befürchtet, daß eine schleichende Verlagerung von Betten an das Virchow-Klinikum zur schrittweisen Abwicklung der Charité führen könnte. Unter dem Druck, daß die nötigen Investitionen in die Charité nur im Falle der Fusion bewilligt würden, stimmte die Leitung schließlich zu.

Letztendlich hat die ungeliebte Fusion der Charité das Überleben gesichert. „Viele sagen, wenn die Fusion nicht gekommen wäre, wäre vielleicht gar nicht gebaut worden“, meint die frühere ärztliche Leiterin der Charité, Ingrid Reisinger, die damals zu den entschiedenen GegnerInnen der Fusion zählte. „Ich bin jedenfalls nicht mehr besorgt, daß der Standort der Charité in Mitte in Frage gestellt wird.“

Von den 800 Millionen Mark, die der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen bis zum Jahr 2000 zusagte, sind – wenn auch mit einigen Verzögerungen – rund 300 Millionen in die Sanierung geflossen. 1996 zögerte Bausenator Jürgen Klemann (CDU) die Bewilligung der Gelder bedenklich lange hinaus, so daß es faktisch zu einem Baustopp kam. An der Charité wuchs die Befürchtung, daß angesichts der Haushaltslage die Gelder womöglich noch gestrichen werden könnten. Doch nach einer Intervention Diepgens flossen die Mittel.

Die Bauarbeiten an der Inneren Klinik sollen 1999 abgeschlossen sein. Damit ist das Kernstück der Klinik saniert. Vom Senat habe man die wiederholte Zusage, daß die übrigen 500 Millionen Mark folgen werden, wenn auch nicht, wie ursprünglich vorgesehen, bis zum Jahr 2000, sondern im Zeitraum 2001 plus x, so Köttgen. Angesichts der schwierigen Haushaltslage sei dies eine „positive Perspektive“.

Der bündnisgrüne Abgeordnete Bernd Köppl bedauert dagegen, daß die Charité sich nach dem Fusionsbeschluß zunehmend am Modell westdeutscher Kliniken ausgerichtet habe. Reformerische Ansätze etwa bei der Krankenhausführung seien auf der Strecke geblieben. Ein Nachteil der Fusion sei auch, daß die medizinische Ausbildung nun auf drei Standorte – in Mitte, Wedding und Buch – verteilt sei.

Zuvor galt der Campus der Charité mit seiner engen Verknüpfung von klinischer und theoretischer Ausbildung als vorbildlich. Geblieben ist immerhin das Seminarsystem, das MedizinstudentInnen quasi in Schulklassen einteilt. Dies gibt nicht nur einen festen Bezugspunkt, sondern erleichtert es auch, die Regelstudienzeiten einzuhalten. Dennoch zieht Fusionsgegnerin Ingrid Reisinger unterm Strich ein positives Resümee: „Es ist nicht ideal, aber akzeptabel.“