: „Wir sind jetzt wachsamer geworden“
■ Gespräch mit der Ostberliner Ausländerbeauftragten Anetta Kahane über rassistische Übergriffe gegen Ausländer
INTERVIEW
taz: Bei einem Überfall auf vier Vietnamesen haben Skinheads gefilmt, wie sie ihre Opfer zusammenschlagen. Befürchten Sie nicht, daß sich solche Leute mittlerweile einen Sport daraus machen, Ausländer zu jagen?
Anetta Kahane: Das ist eine ernstzunehmende Befürchtung. Aber ich bin überzeugt, daß Rechtsradikale sich solche Übergriffe nicht trauen würden, wenn die Bevölkerung das nicht aus Angst - oder welchen Gründen auch immer - dulden würde. Ich nenne das immer unterlassene Hilfeleistung durch Wegschauen. Und wenn in der offiziellen Politik Ausländer herabgesetzt werden, ist das natürlich wertbildend für den Mann auf der Straße.
Die Berichte über rassistische Überfälle häufen sich in beiden Teilen der Stadt, in Ost-Berlin allerdings in zunehmend bedrohlicherem Ausmaß...
Ob die Situation sich immer mehr zuspitzt, ist die Frage. Wir sind einfach auch wachsamer geworden und reagieren sensibler auf Meldungen über solche Überfälle. Wir befinden uns da in einem gewissen Zwiespalt. Ich höre wiederholt von hier lebenden Ausländern, daß sie nach 20 Uhr nicht mehr auf die Straße gehen. Die sind selbst nicht angegriffen worden, aber sie lesen in den letzten Monaten eben immer häufiger von solchen Vorfällen. Die neu geschaffene Öffentlichkeit führt also auch zu einer enormen Beunruhigung unter Ausländern. Andererseits müssen wir diese Ausländerfeindlichkeit öffentlich machen.
Es ist wiederholt Kritik am Verhalten der Polizei geübt worden - sowohl in bezug auf Einsätze gegen Ausländer als auch auf schlampige oder lustlose Ermittlungen, wenn Ausländer Anzeige erstatten wollten. Gibt es Gespräche mit der Polizei?
Natürlich. Wir gehen in die einzelnen Reviere der Volkspolizei, um Schulungen zu machen und mit den Leuten ins Gespräch zu bekommen. Dabei mußten wir feststellen, daß die Polizisten von der Rechtslage keine Ahnung haben. Zdem stellt sich Ihnen das Problem oft von einer anderen Seite dar, weil ihnen die Bürger immer wieder die Hölle heiß machen und sie auffordern, gegen die Ausländer vorzugehen. Die würden klauen, schwarzhandeln und betteln. Das Bild der Polizisten ist also von vornherein ziemlich fest geprägt und zwar negativ. Wenn dann ein Ausländer aufs Revier kommt, weil er zusammengeschlagen worden ist, dann empfinden das die Polizisten nicht weiter verwunderlich. Diese Voreingenommenheit gegenüber Ausländern, gepaart mit der eigenen Verunsicherung und Zukunftsangst ist eine ziemlich fatale Kombination.
Organisieren sich die Ausländer selbst gegen Gewalt und Rassismus?
Es hat Ansätze bei den Mosambikanern gegeben. Ich habe davon allerdings nichts mehr gehört. Im Moment scheint das nicht aktuell zu sein. Offenbar gibt es Aktivitäten bei den autonomen Gruppen, die Ausländer im Hauptbahnhof zu schützen. Nach meinen Informationen planen die bei Überfällen von Skins, die Ausländer mit Autos und Taxis aus der Gefahrenzone zu bringen. Wenn sich Leute in dieser Form darum kümmern, finde ich das gut. Wenn es den Autonomen dazu dient, in die Prügelei mit den Skins einzusteigen, finde ich das nicht gut. Jedenfalls würde ich mich gerne mit den Leuten in Verbindung setzen.
Interview: anb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen