: „Wir sind in der letzten Phase des Konflikts“
Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams vom politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) über den anglo-irischen Friedensprozeß, Majors Schwächen und den bewaffneten Kampf / „Wir brauchen eine stabile konservative Regierung“ ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck
taz: Sie haben den Friedensprozeß in Nordirland mit Palästina verglichen und die Rolle, die die internationale Gemeinschaft dabei gespielt hat, als positiv hervorgehoben. Ist das nicht ein gefährlicher Vergleich?
Gerry Adams: Ja und nein. Bei dem Vergleich ging es ja nicht um die Einzelheiten des Friedensprozesses, sondern vielmehr darum, daß der palästinensische Konflikt immer als unlösbar dargestellt wurde – genauso wie die irische Situation oder der Konflikt in Südafrika. Es spielt dabei keine Rolle, ob man mit dem Endergebnis zufrieden ist, aber es ist klar, daß diese Konflikte einen Lösungsprozeß durchlaufen, dem bestimmte Prinzipien zugrunde liegen: erstens der Dialog, zweitens die Teilnahme aller Beteiligten und drittens schließlich eine Lösung durch Verhandlungen. Außerdem gibt es eine internationale Dimension, deren Potential man ausschöpfen muß.
Was erwarten Sie sich denn von der internationalen Gemeinschaft, vor allem in Anbetracht der bosnischen Situation?
Die verschiedenen Chartas der Europäischen Union enthalten durchaus Möglichkeiten der Konfliktlösung, auch wenn wir als Partei die EU sehr kritisch betrachten. Auch die Vereinten Nationen sind mit dem Ziel gegründet worden, Konflikte zu lösen, und es gibt eine Reihe von Statuten, die sich mit dem Recht auf Selbstbestimmung und ähnlichen Themen beschäftigen. Wir fordern, daß diese Statuten angewendet werden. Wir verlangen nicht die Entsendung von UN-Truppen, wir wollen keine Blauhelme in Nordirland. Es ist Sache des irischen Volkes, die Probleme zu lösen. Es ist Sache der Briten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Und es ist Sache der internationalen Gemeinschaft, die britische Regierung aufzufordern, an dem Friedensprozeß teilzunehmen.
Die britische und irische Regierung haben im vergangenen Dezember in der „Downing-Street- Erklärung“ ihre Strategie für eine Lösung des nordirischen Konflikts dargelegt. Darin heißt es, daß eine Bevölkerungsmehrheit einer Veränderung des Status quo in Nordirland zustimmen muß. Warum hat Sinn Féin die Erklärung bisher weder angenommen noch abgelehnt? Worin besteht der Klärungsbedarf, von dem Sie immer sprechen?
Sinn Féin glaubt, daß diese Erklärung eine Etappe im Friedensprozeß ist. Wie bedeutend die Etappe ist, muß aber noch geklärt werden. Die anderen Parteien, sowohl in Dublin als auch in Nordirland, haben beide Regierungen um Klärung gebeten. Wir haben dasselbe getan. Die Dubliner Regierung hat diesem Wunsch entsprochen und auf eine sehr positive Art erläutert, worum es bei der „Downing-Street-Erklärung“ aus ihrer Sicht geht. Wir wollten das mit der britischen Sichtweise vergleichen. Bis heute haben sich die Briten jedoch geweigert, sich dazu zu äußern oder irgendwie auf unsere Fragen zu reagieren.
Und wie geht es weiter?
Der Friedensprozeß steuert in eine Krise. Tragischerweise ist dieses Thema von den Morden der vergangenen Woche fast überholt worden. Je schneller wir diese Fragen abhaken können, je schneller Sinn Féin herausfinden kann, welchen Stellenwert die „Downing-Street-Erklärung“ aus unserer Sicht hat, desto schneller können wir alle den Friedensprozeß vorantreiben. Ich fürchte jedoch, daß die Briten zur Zeit gar kein Interesse daran haben.
Wenn das so ist, müßte Sinn Féin sich doch überlegen, welche Schritte unabhängig von einer britischen Reaktion auf Ihre Fragen unternommen werden können.
Wir versuchen, über die Klärung unserer Fragen hinauszugehen. Man muß jedoch leider akzeptieren, daß die Hindernisse, die jetzt aufgebaut werden, gar nichts mit Irland zu tun haben – das passiert in der anglo-irischen Geschichte recht häufig. Sie haben vielmehr mit John Majors Schwierigkeiten zu tun. Major ist den Launen seines rechten Parteiflügels ausgeliefert, mehr noch als den Unionisten, die sich vermutlich ohnehin nicht gegen ihn wenden und dadurch vielleicht eine Labour- Regierung an die Macht bringen würden. Aber nicht nur Major ist seinem rechten Flügel ausgeliefert, sondern damit auch alle Menschen in Irland, besonders wir hier im Norden.
Majors innenpolitische Schwäche ist also kein Vorteil für Sinn Féin?
Nein, überhaupt nicht. Das Paradoxe an der Situation ist, daß wir Republikaner eine stabile und selbstbewußte Konservative Regierung brauchen.
Sie haben letztes Jahr monatelang mit dem SDLP-Vorsitzenden John Hume verhandelt. Daraus ist das sogenannte „Hume-Adams- Papier“ entstanden, das von der IRA als Grundlage für Frieden in Nordirland bezeichnet wurde. Hier auf der Falls Road wirbt Sinn Féin mit Plakaten um Unterstützung für das „Hume-Adams- Papier“, doch der Inhalt ist bisher geheimgehalten worden. Wie ist das zu rechtfertigen?
Ich habe mehrmals in den vergangenen Monaten geglaubt, daß der Zeitpunkt gekommen sei, die Details der Übereinkunft zwischen Hume und mir öffentlich zu machen. Der Grund, warum ich mich dann jedesmal dagegen entschieden habe, hängt mit der Frage zusammen, ob die Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt dem Friedensprozeß genützt oder geschadet hätte. Ich bin dann stets zu der Überzeugung gelangt, daß es den Prozeß nicht voranbringen würde.
Wie sind John Hume und ich übereingekommen? Wir haben uns auf einen Rahmen grundlegender Prinzipien geeinigt – zum Beispiel, daß es keine interne Lösung in Nordirland gibt, daß das irische Volk in seiner Gesamtheit ein Recht auf Selbstbestimmung hat, daß das irische Volk in dieser Frage jedoch nicht einig ist und daß die Aufgabe darin besteht, zu versuchen, eine Übereinkunft zu finden. Weiterhin stimmen Hume und ich darin überein, daß die Unionisten kein Recht auf ein Veto haben, daß beide Regierungen eine zentrale Verantwortung tragen und eine führende Rolle bei einer Verhandlungslösung spielen müssen, an der beide Regierungen und alle anderen Parteien beteiligt sein müssen. Wir haben außerdem den Weg aufgezeichnet, auf dem all das erreicht werden kann. Die IRA hat einen Bericht darüber erhalten und hat gesagt, daß dies eine Basis für Frieden bilden könnte. Die britische Regierung ist vollständig über die Vorgänge informiert gewesen und hat nein gesagt.
Und weshalb die Geheimhaltung?
Das Dilemma ist, daß alle aufspringen und ihre Meinung dazu abgeben würden, wenn wir den Text und die Einzelheiten der Übereinkunft zwischen Hume und mir veröffentlichen. Dadurch würde der breite Konsens, der den Friedenprozeß bis jetzt vorangetrieben hat, möglicherweise zersplittert. Man muß mißtrauisch sein, wenn man sich ansieht, wer eigentlich die Veröffentlichung des Papiers fordert. Natürlich ist das eine legitime Forderung der Journalisten und der Bevölkerung, insbesondere von Republikanern und SDLP-Mitgliedern, aber die lautesten Forderungen kommen von denen, die von Anfang an gegen den Friedensprozeß waren – nämlich von den Dubliner Politikern des rechten Flügels und von den Unionisten Ian Paisley, Jim Molyneaux und Konsorten, die sich gegen das bisher Erreichte ausgesprochen haben und gegen einen Friedensprozeß sind, der alle einschließt.
Gesetzt den Fall, die britische Regierung kommt dem „Hume- Adams-Plan“ ein Stück entgegen, und die IRA geht einen Waffenstillstand ein, dann bedeutet das ja noch nicht das Ende der Gewalt in Nordirland. Die loyalistischen Organisationen haben erklärt, daß sie die Gewalt eskalieren werden. Wie sehen Sie die Situation?
Die Situation verlangt eine Demilitarisierung. Man kann keinen dauerhaften Frieden schaffen auf der Basis einer unilateralen Aktion, von welcher Seite auch immer. Man wird auch von keiner der beteiligten bewaffneten Gruppierungen eine einseitige Einstellung militärischer Aktionen erleben. Und auch der Loyalismus ist Teil dieses Staates. Er gehört zur ganzen Natur dieses Staates. Letztendlich muß man mit ihnen reden, genauso wie mit allen anderen auch.
Die IRA-Morde an zwei Protestanten am Sonntag vergangener Woche verschlimmern die Situation doch lediglich, oder nicht?
Ich weiß noch nichts Genaues darüber. Ich habe gehört, die IRA habe behauptet, daß die beiden Männer Mitglieder in loyalistischen Organisationen waren.
Was ändert das, wenn sie Loyalisten waren. Es ist doch jetzt nur eine Frage der Zeit, bis die Loyalisten sich rächen und ein paar Katholiken ermorden.
Ich will nicht, daß überhaupt irgend jemand getötet wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um Polizisten, britische Soldaten, Loyalisten oder Zivilisten handelt. Deshalb habe ich mich vorhin gegen diese Stagnation gewandt, die geradewegs in die Krise führt. Die politische Landschaft war im vergangenen Jahr völlig eingefroren. Dann gab es eine Öffnung und einen Schritt nach vorne. Dann kam die „Downing-Street-Erklärung“ als Antwort darauf, bis die Briten schließlich gebremst haben und die Situation wieder stagnierte. In einer Zeit, in der wir eine Demilitarisierung wollen, bekommen wir das Gegenteil: die Briten verstärken die Militarisierung, die Loyalisten tun das gleiche, und der Druck auf die IRA wächst, ebenfalls die Militarisierung zu forcieren. Dadurch rutschen wir langsam in eine Krise.
Die IRA weiß das doch sicher auch. Was ist denn in dieser Phase das politische Ziel des bewaffneten Kampfes?
Ich kann nicht für die IRA sprechen. Die IRA konnte durch das, was die britische Regierung gesagt hat – oder vielmehr nicht gesagt hat –, bisher nicht dazu bewegt werden, ihren bewaffneten Kampf aufzugeben, obwohl sie in letzter Zeit einige Flexibilität gezeigt hat. Wenn man sieht, wie die Loyalisten ungestraft in republikanische Viertel eindringen und ihre Aktionen ausführen können, dann gibt es fast eine militärische Logik, in der die IRA operiert. Ich will, daß all das aufhört. Dazu braucht es aber eine multilaterale Beteiligung. Die derzeitige Lähmung, die die Briten herbeigeführt haben, hält vielleicht Major ein bißchen länger an der Macht, aber sonst kann niemand ein Interesse daran haben.
Sind Sie immer noch optimistisch?
Ich bin in einem realistischen Sinn optimistisch. Ich muß zugeben, daß mir eine Mischung aus Grippe und den jüngsten Ereignissen verdeutlicht hat, daß wir in einer Krise stecken. Gleichzeitig bin ich nach wie vor davon überzeugt, daß wir uns in der letzten Phase des Konflikts befinden. Ich kann nicht sagen, wie lange sie dauern wird, weil das nicht nur von einer Seite abhängt. Man muß sich nur die Autobombe in Südafrika am Vorabend der historischen Wahlen ansehen. Das hat gezeigt, daß es dort Reaktionäre gibt, die kein Interesse am Frieden haben. Und genauso gibt es hier Reaktionäre, die kein Interesse am Frieden haben. Wir müssen Geduld, Zähigkeit und Ausdauer an den Tag legen, um sie zu überdauern und den Friedensprozeß auf Kurs zu halten.
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