DOKUMENTATION: „Wir reden hier nicht wie in einer Vorlesung“
■ Der Führer des „Afrikanischen Nationalkongresses“ (ANC), Nelson Mandela, letzten Freitag vor Journalisten in Johannesburg:
Dieses Referendum ist etwas anderes als die Referenden von 1961 und 1981. 1961 mußten Weiße über die Frage abstimmen, ob sie eine Republik wollen oder nicht. 1983 sollten sie entscheiden, ob sie eine Scheinrepräsentanz von „Coloureds“ und Indern im Parlament wollen. Das heutige Referendum ist völlig anders. Es findet in einer Zeit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise statt. Man muß die Probleme pragmatisch angehen. Kein anderes Land würde akzeptieren, daß eine Minderheit von weniger als 15 Prozent der Bevölkerung über das Schicksal der Mehrheit entscheidet, und deshalb lehnen wir ein ethnisches Referendum ab. Aber wir reden hier nicht wie ein Professor bei der Vorlesung, wir haben es mit konkreten Problemen zu tun.
Es gibt eine akute Bedrohung des Friedensprozesses. Und entgegen unseren Prinzipien sagen wir den Weißen, daß sie dafür stimmen müssen, daß sie mit Ja stimmen müssen, um diesen Prozeß zu sichern und zu garantieren, daß sich die Kräfte des Friedens durchsetzen.
Apartheid wird nie wieder entstehen. Einzige Alternative für das Land ist eine Machtverteilung, die allen Südafrikanern politische Rechte garantiert. Sollten die Weißen den Fehler machen und für eine Rückkehr stimmen, sieht das Land harten Zeiten entgegen. Es wird nie dagewesene Unruhen und Konflikte geben. Aber ich glaube nicht, daß irgendein Versuch, Südafrika in die Tage der Feindschaft zurückzudrängen, Erfolg haben kann.
In den diversen Diskussionen mit Herrn de Klerk habe ich ihm davon abgeraten, die Weißen zu befragen, nachdem eine demokratische Verfassung akzeptiert worden ist. Mein Rat an ihn war, daß er, wenn er seine bei der letzten Wahl gegebene Zusicherung einhalten wolle, das Parlament befragen solle — dort hat er eine Mehrheit. Ich habe die Furcht zum Ausdruck gebracht, daß es gefährlich ist, die Weißen als Gruppe in einer allgemeinen Wahl zu befragen. Nun hat er sich doch für dieses Referendum entschieden. Wir sind nicht besorgt um seine Zukunft oder die Zukunft der „Nationalen Partei“, wir sind besorgt um den Codesa-Prozeß (Verfassungskonvent, d. Red.). Wir werden nicht den Fehler machen, uns auf Individuen zu konzentrieren. Wenn de Klerk sich zum Rücktritt entscheiden sollte, ist das seine Sache. Wir werden all unsere Energie darauf verwenden, sicherzustellen, daß Codesa vorangeht.
Bis eine Interimsregierung installiert ist, können wir Umkhonto we Sizwe (bewaffneter Arm des ANC, d. Red.) nicht auflösen. Wie könnten wir unsere wichtigste Waffe abgeben, wenn die Regierung es nicht schafft, die Gewalt zu beenden, die schon 12.000 unschuldige Opfer gekostet hat? Wie sollten wir unsere Waffe niederlegen, wenn es Kräfte in diesem Land gibt, die Leute offen auf der Straße erschießen und den ANC anzugreifen drohen? Die Waffen, die die Unterdrückten benutzen, werden vom Unterdrücker bestimmt. Wenn der Unterdrücker mit den Unterdrückten diskutiert und Hoffnung besteht, daß es eine Lösung durch Diskussion und Verhandlung gibt, haben wir keinen Grund, auf andere Aktionsformen zurückzugreifen. Wenn der Unterdrücker aber alle Möglichkeiten des legitimen Ausdrucks verschließt und schiere Gewalt anwendet, müssen wir ebenfalls schiere Gewalt anwenden. Das ist eine simple Lektion. Als die Engländer um die Jahrhundertwende versuchten, den Buren ihren Standpunkt aufzuzwingen, haben die „Afrikaaner“ (so nennen sich die Buren selbst, d. Red.) auch zu den Waffen gegriffen.
Welche Strategie wir wählen, hängt davon ab, was die Rechtsradikalen tun, sollten sie an die Regierung kommen. Unser Generalstreik im letzten November hat gezeigt, über welches Potential wir verfügen, um das Land zu paralysieren.
Wir sorgen uns um echte weiße Ängste und kümmern uns darum. Wir sagen, obwohl wir ein nichtrassisches Regierungssystem wollen, jede nationale Gruppe, die ihre eigenen Schulen, ihre eigene Kultur, ihre eigene Sprache und Religion bewahren will, ist frei, das zu tun. Wir wollen „Afrikaans“ von einer Sprache der Unterdrückung zu einer Sprache der Befreiung machen. Man darf nicht vergessen, daß fast 90 Prozent der Coloureds Afrikaans sprechen. Wir haben ein direktes Interesse daran, diese Sprache zu fördern. Aber wir werden jeden Versuch zurückweisen, die weiße Minderheit mit der alleinigen Macht auszustatten, über die Zukunft dieses Landes zu entscheiden. Diese Zeiten sind vorbei, und sie werden nie wiederkommen. Die Rechtsradikalen können kurzfristigen Schaden anrichten, aber langfristig habe ich nicht den geringsten Zweifel, daß die Kräfte des Friedens innerhalb wie außerhalb des Landes stärker sind.
Rassische Indoktrinierung war stets fester Bestandteil der Politik aller Regierungen dieses Landes. Generationen sind in dieser Atmosphäre aufgewachsen. Nun sagen sie, wir müssen Apartheid abschaffen und mit einer Organisation verhandeln, die sie vorher als Terroristengruppe angesehen haben. Ich glaube, daß es mit Geduld möglich ist, jeden zu überzeugen. Ich komme gerade aus dem Orange Free State zurück. In einer Stadt wurde unsere Veranstaltung nicht nur von den Rechtsradikalen besucht, sondern auch der Bürgermeister, der auf dem Ticket der Konservativen Partei ins Amt gekommen ist, nahm an der Diskussion teil. Er hat mich für den nächsten Morgen eingeladen, und wir haben zusammen Tee getrunken — ein Resultat von Kommunikation. Auch in anderen Städten kamen Rechtsradikale und stellten Fragen.
Man soll eine Position nicht als statisch ansehen. Menschen bleiben nicht einfach gleich. Die Weißen in diesem Land sind nicht mehr monolithisch, es gibt eine erhebliche Polarisierung, und selbst in der „Konservativen Partei“ (die parlamentarische Vertreterin von Apartheid, d. Red.) gibt es solche, die das Gefühl haben, sie müßten Teil des Prozesses werden. Ich bin überzeugt, daß Demokratie in unserem Leben machbar und erreichbar ist. Und daß alle politischen Kräfte sich diesem Ziel am Ende beugen werden.
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