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„Wir nehmen den kollektiven Selbstmord in Kauf“

■ Interview mit Sadudin Hodzic, Regierungspräsident des Bezirks Tuzla in Bosnien

taz: Herr Hodzic, Sie drohen damit, Chlorgas in die Atmosphäre zu entlassen, was für eine große Anzahl von Menschen in der unmittelbaren Umgebung der sichere Tod wäre...

Sadudin Hodzic: In diesem uns aufgezwungenen Krieg verteidigen wir uns mit den Mitteln, die uns angesichts des Embargos geblieben sind. Da die Weltgemeinschaft uns nicht erlaubt, Waffen zu beschaffen, sind wir im Nachteil gegenüber jenen, die uns mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Waffen angreifen. Wir haben keine Waffen mehr, selbst die Munition geht aus. Deshalb müssen wir das letzte Mittel anwenden, das uns noch zur Verfügung steht. Und das ist die Anwendung von Chlorgas, über das wir hier in der Region verfügen. Da unsere Freunde uns nicht helfen wollen, nehmen wir einen möglichen kollektiven Selbstmord in Kauf, bevor wir selbst gefoltert, vergewaltigt und ermordet werden. Wir sterben dann durch unsere eigene Hand, aber der Feind auch.

Haben Sie auch Bedingungen gestellt, einen konkreten Zeitpunkt festgelegt, damit es nicht dazu kommt?

Der konkrete Zeitpunkt steht nicht fest, denn er wird gegeben sein, wenn die feindlichen Streitkräfte uns in einer großen Offensive angreifen. Das wird der Augenblick sein, in dem wir die Entscheidung treffen. Wir wollen diese Entscheidung nicht, denn sie wird eine Umweltkatastrophe auslösen. Das tut uns leid; wir werden unsere Freunde in Kroatien und Bosnien-Herzegowina vor der Anwendung der Waffe warnen. Wir werden jedoch den günstigsten Zeitpunkt abwarten, das heißt, wir werden einen Moment abwarten, wo der Wind günstig steht und in Richtung Serbien weht. Das Datum ist also nicht definiert, die militärische Situation wird den Zeitpunkt der Anwendung diktieren.

Gibt es irgendwelche Schritte, etwa der Weltgemeinschaft, die Sie davon abhalten könnten, Ihren Plan durchzuführen – wenn die sich z.B. eindeutiger verhielte und ihre Hilfe verstärken würde?

Wir ziehen solche Möglichkeiten nicht in Betracht, denn alle glauben, wir würden letztlich von unserem Vorhaben ablassen. Es muß den Nachbarn und der Welt klar sein, daß wir es ernst meinen.

In Tuzla und der Region, für die Sie verantwortlich sind, sind schon viele Menschen an Hunger und Krankheiten gestorben, vor allem in den Enklaven Srebrenica und Cerska. Wie schätzen Sie die Hilfe der internationalen Organisationen ein?

Wir sind den internationalen Hilfsorganisationen dankbar für die Medikamente und Lebensmittel. Wir wollen aber nicht am Tropf hängen. Wir fordern nach wie vor die Aufhebung des Embargos gegenüber Bosnien-Herzegowina und die Öffnung des Flughafens in Tuzla. Wir bleiben dabei: Bevor wir unseren Feinden in die Hände fallen, begehen wir lieber kollektiven Selbstmord. Aber nach wie vor existieren viele Hilfsaktionen ausschließlich auf dem Papier. Wir denken dabei an die Menschen in den Enklaven Srebrenica und Cerska. Bisher ist dorthin nur wenig internationale Hilfe gelangt, weil die Tschetniks es nicht erlauben und die internationalen Organisationen sich nicht durchsetzen. Die dort eingeschlossenen Menschen sterben vor Hunger, gehen an Krankheiten zugrunde. Angesichts des Mangels an Medikamenten müssen manchmal Amputationen vorgenommen werden, obwohl sie gar nicht nötig wären. In Cerska sind 100.000 Leute eingeschlossen, täglich sterben Dutzende. Die UNO-Truppen haben vor allem diese Menschen im Stich gelassen. Die UNPROFOR unterstützt sogar indirekt die Tschetniks, die sogenannte ethnische Säuberungen durchführen, indem sie Menschen auf freies Territorium überführt, anstatt sie zu schützen. Die Tschetniks erreichen ihre Ziele somit manchmal mit Hilfe der UNPROFOR.

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