piwik no script img

Wir lassen lesenKichersprachwitz mit Karl Marx und Adorno

■ Dem Lehrer den Ball apportiert: Kritik an der „Kritik zur herrschenden Fußballkultur“

„Ball & Birne“ ist ein Buchtitel, der wirklich nicht lustig ist. Und auch der Cover-Cartoon von Burkhard Fritsche, der die deutsche Fußballnationalmannschaft mit Daimler-Stern auf der Brust (ganz schön kritisch) beim Singen von „Einigkeit + Recht + Freiheiheit“ (ganz schön witzig) zeigt, kann da nichts rausreißen. Die Autoren Dieter Bott, Marvin Chlada und Gerd Dembowski haben ihrem Werk den Untertitel „Zur Kritik der herrschenden Fußballkultur“ gegeben. Das hört sich nach Marx und Adorno an, ändert aber nichts am Befund, daß die Autoren fußballerisch und auch sonst sehr ahnungslos sind.

Das zeigt sich zum Beispiel in einem Text von Gerd Dembowski: Nach dem Kicherkichersprachwitz, ein „Becken- Bauer“ sei zum Kaiser aufgestiegen, wird diesem sofort „begrenzte(r) Sprachgebrauch“ vorgeworfen. Das ist mutig von einem, der selber solche Sätze formuliert: „Bei Beckenbauer spiegelt sich in Schaun mer mal eine Verstrickung von zufälligem Können und einem begnadeten ,In den Schoß fallen‘ wider, dessen Ausmerzung einer Lebensaufgabe entspricht.“ Weil Beckenbauer Fußball spielen kann, wird ihm höhnisch- neidisch ein „zufällige(s) Können“ bescheinigt; was Beckenbauer unsympathisch macht, wird mit dem Nazi-Begriff „Ausmerzung“ gekontert. Das ist reaktionärer Unsinn nach dem Neidmuster: Hat kein Abitur, konnte mal zufällig gut den Ball treten, verdient aber mehr als ich.

Woanders trifft man auf unangenehmes Pathos: „Ich fordere zu schweigen dort“, plädiert Marvin Chlada für eingeschränkte Meinungsfreiheit, „wo unter dem Vorwand der Kritik für den herrschenden Fußball gesprochen oder Stellung bezogen wird.“ Soll heißen: Erlaubt ist nur Gegenrede zum Fußball, und das ist dann zum Beispiel diese von Dieter Bott über Fans: „Wo sie auftauchten, alkoholisiert in Rotten und Meuten, verbreiteten sie Angst und Schrecken, und wehe dem, der sich ihnen entgegenstellte.“ Das ist großer und grober Unfug, was der selbsternannte Fansoziologe da fabuliert.

Zur Heysel-Katastrophe, bei der 1985 in Brüssel 39 Fans umkamen, heißt es, die Schuldigen seien „biersaufende Schlägeridiotenfans“ gewesen, deren Club der „1. FC Liverpool“ gewesen sei. Weil nahezu alles, was die Autoren behaupten, halluzinierter Quatsch ist, zitieren sie sich entweder selbst (süß ist etwa ein Interview, das Chlada mit Bott führt), oder sie suchen sich besonders beeindruckende Quellen. Beispiel: „Die Geschichte des Nationalsozialismus“, heißt es da, habe gezeigt, „daß der Sport sich im Sinne der Ziele von Diktaturen einsetzen läßt. In den faschistischen Ländern waren die bürgerlichen Sportvereine Stützpunkte und Reservoire für die faschistischen Verbände.“ Fußnote 59 dazu: „Vgl. Plattform der Kommunistischen Partei Deutschlands ‚Opposition‘, Beschlossen auf der dritten Reichskonferenz zu Berlin, Dezember 1930.“ Wir staunen: Den Beleg für das, was der Nationalsozialismus gezeigt hat, findet der Autor also im Jahr 1930.

Was sind das für Leute, die so etwas schreiben und dafür noch einen Verlag finden? Einer erinnnert sich „an den Sportunterricht in der Grundschule, an jenen Tag, an dem wir Kinder zum ersten Mal Fußball spielen sollten. Es war eine Katastrophe. Der Lehrer wirft den Ball, und alle Jungs fallen über diesen her. (...) Man stelle sich vor: Eine große Turnhalle und, in einer Ecke, ein Haufen Fleisch, aus dem langsam ein Ball rollt. Ich nahm ihn auf und brachte ihn zum Lehrer.“ Solche Leute sind das. Martin Krauß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen