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Wir lassen lesenWas, bitte, ist Tennis?

Wie der Engländer die Deutschen endlich vom Monopol des Turnens befreite

Auf die Frage des englischen Gentleman, wo sich denn der Tennisplatz im Kurort Bad Homburg befinde, wusste man nur mit Unverständnis zu entgegnen: „Tennis?“ Turnen, ja, der Barren ist gleich ums Eck, aber was, bitte schön, ist Tennis? So ähnlich muss es gewesen sein, als distinguierte Engländer zum Ende des vorletzten Jahrhunderts auf eine Gesellschaft trafen, die ausschließlich durch die philanthropischen Lehren von Turnvater Jahn und Konsorten monokulturell sportlich sozialisiert war. Vor allem einer Gesellschaftsschicht ist es zu danken, dass english sports wie Tennis, Fußball, Rugby in Folge zügig ihren Weg über den Kanal fanden: dem modernen deutschen Bürgertum.

Für die Schar der Angestellten und Beamten der Großstädte, die sich durch gesellschaftliche Heterogenität auszeichneten, barg der englische Sport ein enormes Identifikationspotenzial. Rasch wurde mit deutscher Gründlichkeit der Kulturtransfer vollzogen, bildeten sich Sportvereine und Verbände. Der unvermeintliche Sportfunktionär ließ nicht auf sich warten; Figuren wie Carl Diem agierten erfolgreich an der Scheidestelle von Sport, Disziplin, Medizin, Hygiene, Wissenschaft und Politik. Es blieb nicht aus, dass der vollzogene Kulturtransfer in einen Kulturkampf zwischen den Anhängern der modernen, importierten Sportarten und den deutschen Turnern mündete; auf sportpolitischem Feld wurde da eine symbolische Auseinandersetzung zwischen altem und neuem Bürgertum ausgefochten, die die Modernisierer für sich entscheiden konnten.

Kulturtransfer, Kulturkampf, kulturelle Bedeutung, das sind die entscheidenden Begriffe auf den ersten knapp 300, fußnotenlastigen Seiten der soziohistorischen Habilitationsschrift von Christiane Eisenberg. Akribisch genau zeichnet sie in „English Sports und deutsche Bürger“ den Weg der englischen Sportarten Richtung Deutschland nach. Nicht die Psychogenese des deutschen Bürgers steht im Mittelpunkt der Untersuchung, sondern die sozialen und strukturellen Verhältnisse, die zur erfolgreichen „Einbürgerung“ der genuin englischen Sportarten führten. Dass die fehlende Industrialisierung ein entscheidender Faktor für die Trägheit der Deutschen im Herausbilden eigener Sportarten war – und nicht nur eine Frage des dumpfen, deutschen Turn-Charakters – wird im Vergleich mit dem fortschrittlichen England klar herausgearbeitet. Klar wird auch, dass der Sport, sowohl in England als auch in Deutschland, ein geeignetes Feld sozialer Distinktion darstellte (was beispielsweise den englischen Adel dazu brachte, seine Aktivitäten in Richtung Polo und Segeln zu verlagern, als Fußball und Rugby populär wurden).

Die historische Untersuchung, teils aufregend, teils strapazierend (Uni!) zu lesen, beschränkt sich jedoch nicht auf das Herausarbeiten eines vollzogenen Kulturtransfers, sondern zeichnet chronologisch den weiteren Verlauf der Geschichte des deutschen Sports nach. Unschön nachzulesen, wie sich ein spezifisch deutsches Gesicht der genuin englischen Sportarten herausbildete, das sich durch eine militärische und männergebündelte Seite auszeichnete. Erster Weltkrieg und Weimarer Republik verstärkten die latent militaristischen Züge des Sportsystems, so wurde das Handgranaten-Weitwerfen im Ersten Weltkrieg eine populäre Sportdisziplin, auch mutierten die Sportvereine während der Weimarer Republik teilweise zu Drillschulen, da der Versailler Vertrag eine zahlenmäßige Beschränkung des Militärs vorsah.

Eisenbergs historische Fleißarbeit, die einen Zeitraum von fast 150 Jahren abdeckt – und dementsprechend teilweise durch die Geschichte hetzt – endet mit einem Kapitel über die Nazizeit, das in seinen Thesen durchaus fragwürdig erscheint. Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin als eine Feier des Sports zu beschreiben, wo das Regime „eine vorübergehende Auszeit“ nahm, wird auch durch Berufung auf die Untersuchungsperspektive und die Nichtakzeptanz von Leni Riefenstahls Olympiafilm als eine historische Quelle nicht leichter verdaulich. Selbst wenn die Sportvereine während des Regimes von politischen Zwängen befreit waren, bleibt ihre Rolle – und die der Funktionäre – als passive Träger des Systems unbestreitbar.

Letztlich ist aus der vorgegebenen Untersuchungsperspektive aber vor allem eine, nicht unbedingt neue Erkenntnis festzuhalten: ein merkwürdiger Mensch, dieser deutsche Bürger. Henning HarnischChristiane Eisenberg: „English Sports und Deutsche Bürger – Eine Gesellschaftsgeschichte 1800 – 1939“. Schöningh Verlag 1999, 522 Seiten, DM 128

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