: „Wir können hier nicht mehr“
■ Ein Beispiel unter vielen: Pflegenotstand in der Augenklinik
„Hopp, hopp, nun aber schnell! “ wird die achtjährige Verena von einem Arzt in der Sehschule der St.-Jürgen-Klinik empfangen. Sie hat dreieinhalb Stunden auf die schmerzhafte Untersuchung gewartet und ist aufgeregt. Verena sieht aus wie ein Pirat. Aber eigentlich ist das gar nicht witzig: Sie hat eine Augenklappe, weil ihr Sehnerv entzündet ist. Und nun macht der Arzt sie auch noch an. „Wir können hier nicht mehr“, entschuldigt sich der Arzt bei dem empörten Vater, „wir arbeiten hier zu zweit. Ich habe seit drei Wochen rund um die Uhr gearbeitet.“
Seit fünf Jahren gibt es die Sehschule als eigenständigen Funktionsbereich in der Augenklinik St. Jürgen-Straße. Hier werden besonders komplizierte Operationen an den Augen durchgeführt. In der Bundesrepublik gibt es höchstens ein Dutzend ähnlicher Einrichtungen. Krankenhaus- Chef Demeler hatte damals den Facharzt Franz Conrad eigens nach Bremen geholt. Schon beim ersten Gespräch hatte Demeler Conrad versprochen: „Fangen Sie erst einmal an, die Vorraussetzungen schaffen wir dann so bald wie möglich.“
Conrad hat inzwischen seine Geräte selbst bezahlt. „Es war von Anfang an klar, welche Geräte ich brauche, und ich habe meine Bedürfnisse immer artikuliert.“ Im Arbeitsstreß kommt er immer seltener dazu, nachzubohren, wo das Geld bleibt. „Das war mein Fehler. Es ist praktisch illegal, private Geräte im Krankenhaus anzuschaffen. Aber ich brauchte die Geräte, und schließlich sind sie nicht schädlich für die Patienten.“
Auch das versprochene Personal kam nicht. Der eine Kollege ist jeweils Anwärter für den Facharzt und wechselt alle halbe Jahr. Die zwei Ortoptistinnen (medizinische FachassistentInnen) sind zur Zeit krank und in Urlaub. Wenn die Sprechstundenhilfe krank ist, müssen auch Termine noch selbst koordiniert werden.
Obwohl Franz Conrad zweieinhalbfach so viel arbeitet wie tarifvertraglich vorgesehen, müssen die PatientInnen ein halbes Jahr auf ihre Operation warten. „Für Kinder ist das sehr schlimm“, so Conrad, „denn Sehbehinderungen bedeuten für sie Verunsicherungen und Hänseleien“. Nach Nachtbereitschaften in der Nacht, in denen Notfälle behandelt und operiert werden müssen, operiert er am Vormittag sechs Stunden, um dann noch einige Stunden augenkranke Kinder und alte Menschen zu untersuchen. So kommt es dann, daß er auch mal eine kleine Patientin anfährt. „Wenn wir menschlich nicht das Beste tun, dann, weil wir alle angespannt sind wie ein Flitzebogen.“
„Nur ein Beispiel unter vielen“, weiß Helga Loest von der Gesundheitsbehörde: „Das Problem ist am Überkochen“. Die sogenannten Anhaltszahlen, nach denen das Krankenhauspersonal berechnet wird, sind von 1969. Die Kostenverhandlungen zwischen den beiden „Tarifpartnern“ Krankenversicherungen und Krankenhausgesellschaft sind lange gescheitert. Das Gesetz sieht vor, daß der Arbeitsminister in diesem Fall per Rechtsverordnung neue Zahlen bestimmt. Ein entsprechender Entschließungsantrag war 1988 an der CDU- Mehrheit im Bundesrat gescheitert. Am Freitag will Gesundheitssenatorin Rüdiger einen erneuten Entschließungsantrag im Bundesrat einreichen. Beate Ramm
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